In den 30 Jahren von 1871 bis 1901 hatte sich die Einwohnerzahl des Ortes von 591 auf 7583 „Seelen“ erhöht. Für die Gemeinde Tegel bedeutete dies u. a., auch an die steigende Zahl der Schulkinder zu denken. So beschloss die Gemeinde-Vertretung am 24.11.1902, eine Realschule mit drei Vorschulklassen, einer Sexta und einer Quinta zu Ostern 1903 einzurichten. Unter Schulleiter Wilhelm Schreiber begann der Schulunterricht der „Höheren Knabenschule“ in der Schöneberger Straße 4 (heutiger Medebacher Weg) am 16.4.1903. Bei der Gründung hatte die Quinta 10 Schüler, die Sexta 19, die erste Vorschulklasse 8, die zweite 13 und die dritte 13 Kinder, zusammen mithin 63 Schüler. Für die Vorschulklassen wurden 80 und für die Realschulklassen 100 Mark als jährliches Schulgeld erhoben.
Durch Ministerial-Erlass v. 14.4.1906 wurde die höhere Knabenschule als eine in der Entwicklung begriffene Realschule anerkannt, die Eröffnung einer Obertertia zu Ostern 1906 genehmigt. Zum 1.4.1907 konnte eine Untersekunda errichtet werde. Durch Verfügung v. 11.8.1908 erhielt die Lehranstalt den Namen „Humboldt-Realschule“ verliehen.
Im Oktober 1908 begannen auf einem gemeindeeigenen Grundstück, östlich der Eisenbahnlinie Berlin – Kremmen und gegenüber dem Gemeindefriedhof gelegen, Bauarbeiten für die Errichtung eines Realschulgebäudes. Der Kostenanschlag belief sich auf 710000 Mark. Hierfür nahm die Gemeinde Tegel eine Anleihe auf. Nach einer längeren Bauzeit, während der viele Störungen auftraten, konnte dann am 23.10.1911 die Einweihung gefeiert werden, auf die nun näher eingegangen wird.
Es herrschte stürmisches, regnerisches Wetter, als sich am Tag der Weihe die Schüler der Oberrealschule unter Führung ihrer Lehrer sowie der Kapelle des 5. Garde-Grenadier-Regiments von der Schöneberger Straße zum fahnengeschmückten Schulneubau begaben. Vor dem Hauptportal der Schule nahmen sie zusammen mit weiteren geladenen und ungeladenen Gästen Aufstellung. Die Kapelle spielte den Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“. Es folgte durch Pfarrer Reishaus der Weihespruch. Er sprach vom allmächtigen Gott, der „schirmend“ walten möge, wie auch von Kaisertreue und Vaterlandsliebe. „Ja Herr, in deinem Namen sei es begonnen, segne diese Anstalt, hilf Herr, laß wohlgelingen! Amen!“, so endete seine Weihe.
Es folgte die Öffnung des Neubaus mit dem feierlichen Einzug in die Schule. Die Aula war mit einer Kaiser-Büste und viel Grün geschmückt. „Die Himmel rühmen“ brachte der Schülerchor zu Gehör, gefolgt von der Ansprache des Tegeler Bürgermeisters Weigert.
„Aufwärts zu Gott, dem allmächtigen Baumeister aller Welten, richtet in dieser Feierstunde sich unser Blick, ihm, dem Weltenmeister zu danken für die große Gnade, die durch seine Güte uns in der glücklichen Vollendung dieses Bauwerks zu teil geworden ist, zu dessen Übernahme und Weihe wir uns hier versammelt haben. Mit diesen Worten knüpfte Weigert an die Weihe des Pfarrers an, um dann auf den weltlichen Teil seiner Rede überzugehen. Er verwies auf eine Bauzeit von über zwei Jahren, in denen zahlreiche Hände einen als gelungen zu bezeichnenden Neubau errichteten. Gefühle der aufrichtigen Freude ob des erreichten Zieles erfüllen in dieser Stunde unsere Herzen, so der Bürgermeister. Es folgte Worte des Dankes an alle Anwesenden, „in erster Linie in gebührender Weise an die zuständigen Königlichen Behörden“. Weigert dankte auch ausdrücklich der anwesenden Presse. „Wir wissen in Tegel wohl das Urteil der meinungsfreien Presse über öffentliche Einrichtungen zu schätzen und sind für eine sachgemäße offene Kritik jederzeit dankbar, die wir von Ihnen, hochverehrte Herren, auch erbitten.“
Nun ging Weigert auf den gerade an dieser Stelle errichteten Neubau und ein dadurch entstehendes Neu-Tegel ein. Als sich vor gut vier Jahren der Bau der Industriebahn Tegel – Friedrichsfelde und die Anlegung eines großen Gemeindehafens abzeichnete, tätigte die Gemeinde bewusst ungewöhnlich große Geländekäufe, die zu einem Grundstück zusammengelegt wurden und einen Ortsbebauungsplan ermöglichten. Verkehrsstraßen wurden angelegt, Plätze für eine zweite ev. Kirche, eine weitere Volksschule, ein erhofftes Königliches Seminar und Areal für eine „Bergmann-Schnellbahn“ mit Schnellzügen zur Metropole Berlin bedacht. Erwünschte Wohnhaus-Neubauten dürften folgen, die Humboldt-Oberrealschule dann nicht mehr wie heute vereinsamt in jungfräulichem Gelände dastehen.
Nun schilderte der Bürgermeister, welche Eindrücke Blicke von den Zinnen des Schulgebäudes vermittelten. Er sprach vom Pflug des Landmanns und fruchtbeschwerten Äckern noch vor Jahresfrist, abgelöst von schon mit Ver- und Entsorgungsleitungen versehenen Asphaltstraßen nach Borsigwalde, Wittenau und Waidmannslust. Sodann stieg Weigert in seiner Rede noch auf die oberste Turmspitze, erwähnte Wald und Wasser, die Kremmener Bahn, den alten Ort Tegel, das Berliner Gaswerk und die Borsigwerke. Hochbefriedigt steigen wir herab von der Turmspitze dieses neuen Schulhauses, so Weigert weiter, um dann auf den Innenausbau und die Einrichtung der Schule einzugehen. „Zweckdienlichkeit, Wohlfahrt und Schönheit“ entsprachen nach seinen Feststellungen allen zu stellenden Anforderungen.
Nun folgte ein „warmherziger Dank“ an den Regierungs-Baumeister Fischer. Worte wie große Aufopferung, Ausdauer, Liebe und Sorgfalt fielen. Fischer hatte sich nämlich bereiterklärt, die Projektierung und Ausführung des Neubaus zu übernehmen. Daraufhin verzichtete die Gemeinde Tegel auf einen öffentlichen Wettbewerb und sparte dadurch 10000 Mark an Kosten. Weigert sprach ihm bei der Abnahme und Einweihung unsere vollste Befriedigung und Anerkennung aus, verbunden mit dem Dank an seine „rechte Hand“, den Architekten Miarka. Weiterer Dank richtete sich an Bauführer Ziekow und Architekt Langer, diesem für die Außengestaltung. Maurer- und Zimmermeister Gustav Müller aus Tegel hatte bei einer Ausschreibung den Zuschlag für die Ausführung der Hauptarbeiten erhalten. Ihm wurde für die erfüllte Pflicht gedankt wie auch allen Handwerkern, Polieren und Arbeitern. Schließlich wünschte Weigert dem erkrankten Direktor Schreiber rasche Erholung und erinnerte die Lehrer an ihre Berufung, fernerhin in dieser neuen Anstalt ihrer Lehr- und Erzieherpflicht zu genügen. Damit endete die lange, hier nur unvollständig wiedergegebene Rede des Bürgermeisters zur Einweihung der Schule.
Anschließend sprach Oberregierungsrat Dr. Mager, Präsident des Königlichen Provinzial-Schulkollegiums. Er pries die landschaftlichen Schönheiten Tegels, die Opferwilligkeit der Gemeinde für den Schulbau von immerhin rund 1 Mio. Mark und überreichte den Schöffen Reichel, Marzahn und Nieder den Kronenorden 4. Klasse. Bürgermeister Weigert hatte diesen Orden übrigens bereits im Oktober 1908 für seine Verdienste beim Hafenbau erhalten.
Nun folgte eine Rede des Oberlehrers Walter Köhler. Er sprach von den Anfängen der Schule mit etwa 60 Schülern, deren Anzahl nach 8 ½ Jahren auf 350 angewachsen war. Der Raum in der alten Schule wurde zu eng. Die kahlen, kalten Kalkwände in der Schöneberger Straße verglich er weiter mit den anheimelnden, hellen Unterrichtsräumen des Neubaus. Im Altbau musste selbst ein Unterrichtsraum für Physik und Chemie als Klassenzimmer dienen. Nun machte das neue Haus die Hoffnung zur Gewissheit, dass sich die Kinder bis zur Reife für das Universitätsstudium am Orte vorbilden lassen können. Nach der Devise „Keine Freude ohne Dank“ wurden sodann auch von Köhler all´ die Personen erwähnt, die am Entstehen des neuen Schulgebäudes beteiligt waren. Es folgte ein Satz, der auch noch nach über 100 Jahren zutrifft:
Das Geld, in Schulen angelegt,
die allerhöchsten Zinsen trägt.
„Ihr aber, die Schüler der Anstalt, dankt unserer Gemeinde, indem Ihr durch Euer Betragen innerhalb und außerhalb der Anstalt Eurer Schule stets Ehre macht, so daß unsere Tegeler Mitbürger mit Stolz und Freude auf Eure roten und blauen Mützen zeigen können: „Das sind u n s e r e Humboldt-Oberrealschüler!“, so Köhler.
Der Glück- und Segenswünsche nicht genug, sprachen jetzt noch Direktor Martens von der Höheren Mädchenschule, Rektor Müller von der 1. Gemeindeschule und Kreisschulrat Bandtke. Dem Lied Wenn sich der Geist auf Andachtsschwingen, vom Schülerchor vorgetragen, folgte dann ein Rundgang durch das Haus. Die Feier hatte damit ihr Ende erreicht.
In der Gaststätte Tusculum am Tegeler See fand dann ein Festmahl mit 120 Gedecken statt. Nach einem Toast auf den Kaiser folgten Tischreden mit Dankesworten. Das 5. Garde-Grenadier-Regiment spielte auf. Wie es hieß, nahm das Festmahl einen sehr fröhlichen Verlauf, die Teilnehmer hielt es noch lange beisammen.
Gerhard Völzmann