Eine Besichtigung der „Luftschiffer-Casernements“ im September 1901
Die Gründung eines „Ballon-Detachements“ ging auf den 1.6.1884 zurück. Der „Reichsanzeiger“ berichtete hierüber folgendes:
Zur Vornahme von Versuchen mit ballons captifs1 ist die Formirung eines dem Allgemeinen Kriegs-Departement direkt unterstellten Ballon-Detachement vom 1. k. M. ab vorläufig auf die Dauer eines Jahres angeordnet worden. Dasselbe wird bestehen aus 1 Hauptmann, als Vorsteher der Versuchsstation, 1 Premierlieutenant, als Mitglied und Führer des Detachements, 2 Secondelieutenants, 1 Luftschiffer als technischem Beirath der Commission und Werkstatts-Inspektor, 4 Unteroffiziere und 25 Mann der Infanterie. Als Vorsteher der Versuchsstation ist der Hauptmann Buchholtz vom Eisenbahn-Regiment designirt; die Unteroffiziere und Mannschaften, letztere zum größten Theil Handwerker, werden vom Gardecorps und den ersten acht Armeecorps gestellt. Als technischer Beirath ist der Luftschiffer Opitz in Aussicht genommen; das Gehalt desselben ist auf 2400 Mark normirt. Das Detachement tritt am 1. k. M. im hiesigen Ostbahnhof zusammen, woselbst auch die Unteroffiziere und Mannschaften untergebracht werden.
Das Ballon-Detachement, aus dem sich 1887 die Luftschiffer-Abteilung entwickelte, befand sich am Rande des Tempelhofer Feldes an der General-Pape-Straße. Ein eigener Übungsplatz stand dem Detachement zunächst nicht zur Verfügung. So startete zum Beispiel am 31.1.1885 ein kleiner, durch die Mannschaft selbst erbauter Ballon in Schöneberg, und zwar vom Garten des Restaurants „Schwarzer Adler“ aus in die Luft. Fanden Übungen auf dem Tegeler Artillerie-Schießplatz statt, dann wurden zwei Wagen komplett mit Utensilien für die Luftschifffahrt bepackt. Hierzu gehörten neben einem Ballon Gondeln, Netze, Stricke usw. In Berlin ging es mit viel Aufsehen die Potsdamer Straße entlang. Den Wagen folgte die Mannschaft in Reih und Glied. Nachts wurde in Tegel ein Wachdienst erforderlich, da der Ballon nach jedem Gebrauch „gefüllt und gefesselt“ auf dem Schießplatz verblieb.
Im Mai 1894 explodierten in Schöneberg Wasserstoffgasbehälter. Nun schien die Lage des dortigen Luftschiffer-Übungsplatzes für die Umgebung zu gefährlich. Eine Verlegung nach Tegel wurde erwogen. Hier fehlte allerdings die Nähe zur Eisenbahn, um die Luftschiffer in alle Richtungen befördern zu können. Zudem verhinderte ein Veto des Kaisers eine schnelle Verlegung. Zum 1.10.1894 genehmigte der Kaiser die Abkommandierung von je 10 Leutnants der Infanterie, Kavallerie und Artillerie für die Dauer eines Jahres zur Luftschifferabteilung. Nur ältere Sekonde- und Premierleutnants waren vorgesehen.
Im Oktober 1896 hieß es dann, eine Kaserne in Tegel zu errichten, wenn der Reichstag zustimmen würde. Im Dezember 1898 wies der Reichshaushaltsetat eine erste Baurate von 400000 Mark für eine Kaserne und einen Übungsplatz der Luftschifferabteilung in der Nähe des Tegeler Schießplatzes aus; mit Gesamtkosten von 1210000 Mark wurde zu dieser Zeit gerechnet. Als Standort wurde ein Areal am Tegeler Weg, dem heutigen Kurt-Schumacher-Damm, festgelegt. Für den „Neubau eines Kasernements“ wurden im Zeitraum von Juni bis August 1900 Ausschreibungen vorgenommen, die die Vergabe von Dienstleistungen wie z. B. Geländeregelung, Gartenarbeiten, Erd- und Maurerarbeiten zur Errichtung der Gebäude bis hin zur Materiallieferung wie z. B. Klinkersteine und Mörtel beinhalteten. Zudem erklärte sich der Berliner Magistrat im September 1900 bereit, die neuen militärischen Gebäude mit städtischem Gas zu beleuchten und Gas auch in großen Mengen für die Füllung von Ballonen zur Verfügung zu stellen. Ein widerrufbarer Vertrag mit einer Laufzeit von 10 Jahren wurde genehmigt.
Nach einer Bauzeit von rund einem Jahr und einer Innenausstattung ab Mai 1901 konnte am 30.9.1901 die neue Kasernenanlage bezogen werden, die wir nun in einem historischen Rückblick eingehend besichtigen wollen.
Es gibt wohl keine Caserne, welche dieser an die Seite gestellt werden könnte, sowohl in Bezug auf die Lage selbst, sowie auf Größe und Anlage. Es ist eine kleine Welt für sich. So euphorisch wurde damals berichtet. Das Terrain war 500 m lang und 200 m breit und von einem hohen Bretterzaun umgeben. 15 massive, steinerne Gebäude standen auf der Anlage, „manche architektonisch schön“ ausgeführt. Das galt besonders für jenes Haus, in dem das Offizierskasino untergebracht war. Zwei Mannschaftsgebäude standen zur Verfügung. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass ab 1.10. d. J. die bisher eine Kompanie der Luftschifferabteilung durch eine zweite verstärkt wurde. Sie war 60 Mann stark und bestand neben Rekruten aus Männern der Eisenbahnbrigade. Beide Kompanien erhielten nun auch eine Bespannungs-Abteilung, für die sämtliche Trainbataillone 10 Unteroffiziere, 60 Mann und 70 Pferde abgaben.
Während sich in beiden Mannschaftsgebäuden eine Offizierswohnung befand, erhielt der Kommandeur des Bataillons natürlich ein eigenes Gebäude, das gegenüber dem im Bau befindlichen Büro des Aeronautischen Observatoriums lag. Vor den beiden Kompanie-Kasernen waren das Bürogebäude und das Beamtenwohnhaus. Direkt an der Straßenfront befanden sich im dortigen Haus die Wohnungen der verheirateten Unteroffiziere. Jede Familie erhielt einen Garten. Hauptmann von Tschudi als Vertreter der Interessen des Truppenteils hatte „in väterlicher Fürsorge“ schon zu Beginn der Bauarbeiten auf die Gärten so geachtet, dass bereits beim Einzug einzelne Obstbäume Früchte trugen.
Eine elektrische Zentrale war sozusagen das Herz der Anlage, ausgeführt von der Electr.-Act.-Ges. vormals Schuckert & Co. Zwei Dynamomaschinen der Akt.-Ges. „Badenia“ lieferten die Kraft. Elektrische Batterien verfügten über 120 Zellen. Eine eigene Müllverbrennungsanlage war wohl vorgesehen, aber noch nicht fertig. Abwässer wurden in einem eigenen Wasserwerk nach dem sog. Schroederschen System behandelt. Wie bereits in Tempelhof existierend, floss das völlig geklärte Wasser in einen nahe gelegenen Teich ab.
Veranschlagte Gesamtkosten einzelner Bauanlagen (Auswahl):
Ein Mannschaftshaus 113.000 M
Beamtenwohnhaus 74.000 M
Wohngebäude f. Verheiratete 30.200 M
Offizierskasino 82.000 M
Motorenhaus mit Wasserturm 92.600 M
Wasserstoffgasfabrik 24.000 M
Ballonhalle 140.000 M
Kommandeurwohnhaus 59.400 M
Alle Baulichkeiten waren mit elektrischen Kontrollapparaten der Berliner Firma Hammacher u. Paetzold versehen. Sämtliche Uhren wurden von der Zentrale aus reguliert. Hier befand sich auch eine elektrische Ballonwinde. Über ein unterirdisches Kabel, das bis zum großen Übungsplatz reichte, konnten so Ballons aufgelassen werden.
Ein Stall für etwa 60 Pferde befand sich natürlich gleich neben der Reitbahn. Eine dreietagige, 27 m hohe Ballonhalle aus Wellblech mit einer Grundfläche von 1787,1 m2, elektrisch beleuchtet, wurde durch sechs mächtige Bänder gestützt. Die Bauanstalt für Eisenconstructionen von D. Hirsch aus Berlin hatte die Halle ausgeführt. Ein einzige Mann konnte mittels einer Kurbel alle Fenster gleichzeitig öffnen. Auf dem Doppelpappdach stand ein Mast für die Funkentelegrafie, die Hauptmann von Sigsfeld bediente. Der Bodenbelag der Halle bestand aus Pyrament, einer Mischung aus Papier und Zement. Mit Hilfe eines elektrischen Ventilators lies sich Gas von einem Ballon zu einem anderen umfüllen. Auf dem Areal durfte auch eine Gasanstalt nicht fehlen, um Wasserstoffgas zur Ballonfüllung herstellen zu können. Ein besonderes Haus war für die Gas-Komprimierung vorgesehen, während Schuppen der Lagerung gefüllter und leerer Gasflaschen dienten. Der erstere lag am Waldrand weitab der massiven Gebäude und war mit Erde abgedeckt. Ein fotografisches Atelier, ein Werkstättengebäude, eine Telegrafen- und eine Brieftaubenstation waren noch vorgesehen.
Kommen wir nun noch einmal auf das ja weiter oben bereits erwähnte Offizierskasino (Grundfläche 473,8 m²) zurück. „Reizende Gartenanlagen“, vom Kunstgärtner Hoppe aus Zehlendorf mit viel Liebe geschaffen, lagen vor dem Haus. Eine mit Teppichen belegte Treppe führte zu den im Hochparterre gelegenen Kasinoräumen. Die Wände des Treppenhauses zierten Adler der sechs alten Preußischen Provinzen. Den großen Saal schmückte an der Stirnseite ein in Ziegelrohbauweise kunstvoll geschaffener Kamin. Alle Türen waren in einem ähnlichen Grün wie die Verblendsteine der Außenfassade des Gebäudes gehalten. Weite, Licht spendende Fenster waren mit in Diaphanien2 gehaltenen, von Ballons aus aufgenommenen Fotos geschmückt. Der Speisesaal war einfach gestaltet. Ihn schmückten Fotos des Österreichischen Kaisers, früherer Kommandeure der Luftschiffer-Abteilung und Gruppenbilder Österreichischer und Italienischer Luftschiffer.
Insgesamt fehlte in der neuen Kasernenanlage, so ein damaliger Bericht, nicht das Geringste, was als notwendig oder angenehm gesehen wurde. Selbst an einen schmucken Omnibus hatte man gedacht, der die Kinder der Offiziere zum Schulbesuch nach Berlin brachte.
Die Summe der Baukosten für das „Kasernement“ lag für den gesamten Zeitraum von 1899 – 1903 bei 1700489 Mark. Der ursprünglich veranschlagte Betrag von 1759036 Mark wurde damit sogar unterschritten.
Gerhard Völzmann