Karl Wistuba war Königlicher Bahnhofsvorsteher in Tegel
Es ist schon eher ungewöhnlich, wenn die Inschrift auf einem Grabstein auch aussagt, welchen Beruf der Verstorbene einst ausübte. Auf dem alten Tegeler Friedhof an der Wilhelm-Blume-Allee befindet sich die letzte Ruhestätte der Familien Wistuba; auf dem Grabstein für Karl und Marie Wistuba ist u. a. zu lesen: Kgl. Bahnhofsvorsteher a.D. Die Inschrift soll ein Grund sein, den Lebens- und Berufsweg dieses Mannes aufzuzeigen, soweit dies heute noch möglich ist.
Karl Wistuba (er hatte nur einen Vornamen!) erblickte in dem Marktflecken Steinau (Kreis Neustadt im Regierungsbezirk Oppeln/Oberschlesien) am 15.10.1847 das Licht der Welt. Sein Vater Peter war Mühlenmeister. Über Schulbesuch, Militärzeiten und anschließende Berufstätigkeiten ist nichts bekannt. 1883 wohnte Karl Wistuba in Arnsdorf, einem kleinen Dorf und Rittergut bei Oppeln im Kreis Liegnitz/Schlesien. Er war als Eisenbahn-Diätar bei der Königlich Niederschlesisch-Märkischen Eisenbahn beschäftigt. Als Diätar war er zwar Beamter, jedoch nur zeitweise eingestellt und erhielt eine Besoldung außerhalb des Etats der Bahn. Er hatte damit keinen Anspruch auf Wohnungsgeld, Umzugsgeld und ähnliche Leistungen. Zudem konnte er jederzeit gekündigt werden. Für Eisenbahner war dies insbesondere in Preußen ein oft üblicher Laufbahn-Beginn.
Am 7.10.1883 verlobte sich Wistuba in Ober-Stephansdorf Kreis Neumarkt (Regierungsbezirk Breslau) mit der einzigen Tochter Marie Emilie Hedwig des Wirtschaftsinspektors Friedrich Bethge und dessen Ehefrau Emilie. Am 12.5.1884 heirateten dann die beiden. Zu dieser Zeit war Karl Wistuba weiter Diätar, seine Frau „ohne besonderes Gewerbe“, wie es auf der Heiratsurkunde stand. In den Jahren 1885 und 1887 stellte sich Nachwuchs ein, die Söhne Kurt und Ernst wurden geboren. Karl Wistuba und Ehefrau wohnten 1887 in der Kreisstadt Sorau. Als Berufsangabe ist unverändert (Eisenbahn-Stations-) Diätar überliefert.
Im Zeitraum v. 1.4.1895 – 30.3.1898 hatte Wistuba wohl eine planmäßige Anstellung (als Bahnhofsvorsteher?) in Finkenheerd bei Frankfurt/O. Auf einem Foto aus dieser Zeit sind unter der Bahnhofsangabe „Finkenheerd.“ (mit Punkt!) noch Entfernungsangaben von Breslau ( 235,7 km*) und Berlin (91,7 km) angegeben. Der Bahnhof hatte sogar Wartesäle für Reisende 1. und 2. Klasse einerseits und solche der 3. und 4. Klasse andererseits.
Von Finkenheerd aus wurde Wistuba zum Berliner Nordbahnhof versetzt, der sich in der Bernauer Str. 51 – 64 (zwischen Schwedter Straße und Wolliner Straße) befand. Hier war er Stations-Vorsteher II. Klasse bis zum Jahre 1901.
Der Tätigkeit in Berlin N folgten dann viele Jahre auf dem Bahnhof Tegel. Auf der erst am 1.10.1893 eingeweihten Nebenbahn in Richtung Velten und Kremmen endeten Züge auch in Tegel. Bis hierher galt zunächst nur der Vororttarif. Auf dem Bahnhof Tegel war (zumindest 1897/99) der Stations-Vorstand H. Dohrmann tätig, gefolgt (1899/1901) von H. Bartels. Als im Laufe des Jahres 1901 Karl Wistuba seinen Vorgänger im Amt ablöste, bedeutete dies für die Zukunft eine langfristige Besetzung der Stelle. Am 31.10.1908 wurde am Tegeler Hafen die Industriebahn Tegel – Friedrichsfelde eingeweiht. Zu den Festteilnehmern gehörten der Eisenbahnminister, der Oberpräsident der Provinz Brandenburg, die Landräte der Kreise Niederbarnim und Teltow, die Amts- und Gemeindevorsteher der östlichen und nördlichen Berliner Vororte, Berlins Oberbürgermeister Kirschner und (vermutlich) auch Tegels Bahnhofsvorsteher Karl Wistuba. Dessen Teilnahme ist zwar nirgends erwähnt, doch ein Foto von diesem Ereignis, das sich in seinem Besitz befand, lässt diesen Rückschluss zu.
Ein Foto aus dem Jahre 1913 zeigt, dass in Tegel unter der Leitung von Wistuba 17 (!) Bahnbeschäftigte vom Fahrkartenverkäufer über den Gepäckabfertiger bis zum Arbeiter auf dem Güterbahnhof angestellt waren. Vom 1.10.1910 an wurde dann die Nebenbahnstrecke Schönholz – Velten als Hauptbahn betrieben.
Im Jahre 1916 endete im 69. Lebensjahr (!) Wistubas Berufstätigkeit. Dies bedeutete für ihn auch, die Dienstwohnung (mit „Dienstgarten“) auf dem Bahnhofsgelände zu verlassen. Doch er blieb in Tegel, zog in die Veitstraße und damit in unmittelbare Nähe der Wohnung seines Sohnes Kurt, der (1918) Studien-Assessor und zuletzt Studienrat war. Karl Wistuba war es nicht vergönnt, einen langen Ruhestand zu genießen. Er verstarb am zweiten Weihnachtsfeiertag 1917.
Auf dem Bahnhof Tegel aber wurde G. Litschen als Bahnhofsvorsteher Nachfolger von Wistuba.
Gerhard Völzmann
* Die Entfernungsangabe auf dem Foto ist nicht eindeutig zu lesen. Nach einem Bericht der Eisenbahn von 1872 betrug die Strecke Breslau, Niederschlesischer Bahnhof, bis Finkenheerd 266,35 km.