Von 1881 – 1958 fuhr die Straßenbahn nach Tegel
Vor 1881 war es umständlich, von Berlin nach Tegel zu gelangen. Am 25.6.1875 wurde zunächst eine Pferdeeisenbahn von der Weidendammer Brücke bis zum Oranienburger Tor in Betrieb genommen, mit der Tegel schon „etwas näher an Berlin heranrückte“. Im August 1875 erfolgte eine Verlängerung bis zum Tegeler Schießplatz, also bis zur Grenze zwischen Wedding und Reinickendorf. Es war dann Lebrecht Büchmann, Kaufmann und Direktor der Großen Internationalen Pferdebahn, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Er gründete kurzerhand eine Kommanditgesellschaft (Büchmann & Co.) und erwarb die Konzession für den Bau und Betrieb einer eingleisigen Bahnstrecke nach Tegel. Die Bauausführung übernahm die Große Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft unter technischer Beratung des Ober-Ingenieurs J. Fischer-Dick, während Bauführer Schmidt die Bauleitung erhielt.
Es ist kaum zu glauben, dass die rund 5 km lange Strecke vom ehem. Chausseehaus an der sog. Weichbildgrenze Berlins bis zum Dorf Tegel in kaum vier Wochen fertig gestellt wurde. Dabei mussten mehrere Holzbrücken durch solide überwölbende Grabenbrücken ersetzt werden.
Bei der landespolizeilichen Abnahme der Pferdeeisenbahnstrecke nach Tegel am 3.6.1881 gab es „nichts zu erinnern“. Am gleichen Tag, es war ein Freitag, war dann die festliche Eröffnung der neuen Strecke. Alles, was Rang und Namen hatte, traf sich um 11 Uhr an der bisherigen Endhaltestelle (Müllerstr.) in dem dort gelegenen Gasthaus. Neben Büchmann, Fischer-Dick und Schmidt waren Landrat G. Scharnweber, Landesbaurat der Provinz Brandenburg G. Bluth, Polizeihauptmann L. von Albert, Direktor M. Hirsch von der Großen Berliner Pferdeeisenbahn, Landesbauinspektor Reinhold und natürlich Tegels Amtsvorsteher Brunow erschienen, ohne dass damit alle Teilnehmer der Festgesellschaft genannt sind.
Man nahm auf der „Imperiale“ zweier Pferdeeisenbahnwagen Platz. Eichenlaubgewinde und Birkenzweige schmückten die beiden Wagen. An der Wagenspitze wehte auch die schleswig-holsteinische Fahne „in zarter Galanterie an das jüngst eroberte, holde Mitglied unserer Königsfamilie, Prinzessin Wilhelm“. Damit war die Prinzessin zu Schleswig-Holstein, Auguste Viktoria, gemeint, die erst kurz zuvor, am 27.2.1881, Wilhelm II., den späteren Kaiser und König von Preußen geheiratet hatte.
In bester Stimmung begann die Einweihungsfahrt. Mit lauten Hochrufen begrüßten Arbeiter, die an der Wegstrecke noch letzte Arbeiten erledigten, die Gesellschaft. Tegel war festlich geschmückt. Beiderseits der Dorfstraße waren Masten errichtet, die mit Laubgirlanden umwunden und verbunden waren. An den Mastspitzen flatterten deutsche und preußische Fahnen. Besonders die dunkel gekleidete Jugend begrüßte die eintreffenden Herren mit Enthusiasmus. War es der Gedanke an die nun näher ger
Ein Teilstreckenfahrschein der Großen Berliner Pferdebahn AG aus dem Jahre 1884.
ückte Erlebniswelt Berlin? Die so laut und herzlich empfangene Gesellschaft begab sich in das nahe gelegene Drewitzsche Lokal. Hier waren bereits Tafeln in Hufeisenform errichtet. Um weitere Tegeler Honoratioren wie z. B. Sanitätsrat C. A. la Pierre (Arzt des frz. Hospitals und Waisenhauses) und alteingesessene Grundbesitzer verstärkt, begann ein von guter Laune gewürztes Frühstück. es wurde viel getoastet und geredet. Die Frühstückssitzung endete mit einem Tafellied (Refrain „am schönen Tegeler See“) nach der Melodie „Am grünen Strand der Spree“, freilich unter kühner Hinwegsetzung der hergebrachten Gesetze der Harmonie gesungen.
Es folgte eine Promenade am Ufer des Tegeler Sees. Mit einer „Kaffeesitzung“ unter den Bäumen im Vorgarten des Drewitzschen Lokals fand dann die offizielle Eröffnungsfeier ihr Ende. Einige Teilnehmer genossen anschließend die Schönheit des Tages und des Ortes weiter in Tegel, während andere zum Ausgangspunkt der Bahn zurückkehrten, um hier „das fröhliche Ende an den fröhlichen Anfang“ anzuknüpfen.
Vom 4.6.1881 an stand dann die Straßenbahn für alle Fahrgäste zur Verfügung, wobei das Pfingstfest die erste Bewährungsprobe für die am Tage mit roter Fahne und nachts mit roter Laterne gekennzeichneten Wagen war.
Im April 1882 ging die Pferdebahnlinie Tegeler Chaussee – Dorf Tegel durch Kauf in das Eigentum der Großen Berliner Pferdebahn-Aktien-Gesellschaft über „und sind damit sämtliche Hindernisse gehoben, die der Einrichtung einer direkten Linie Weidendammer Brücke – Dorf Tegel entgegenstanden. Mit Einführung des Sommerfahrplans wird diese Linie in Betrieb gesetzt werden“ (Zeitungsbericht v. 13.4.1882).
Eine Fahrt von der Weidendammer Brücke bis zum Dorf Tegel kostete zunächst 50 Pf., seit dem 15.10.1884 nur noch 40 Pf. Die stündlich, an Sonntagen gar alle 20 Minuten verkehrende Bahn musste auf dem eingleisigen Teil der Strecke gelegentlich an den Weichen Pausen einlegen. Hier wie an den Endhaltestellen waren natürlich Gaststätten, die von den Tegelern beim Zwischenhalt gern aufgesucht wurden. Denn die Bahnfahrt verursachte im Sommer Durst und im Winter kalten Füße.
Am 3.6.1891 fand aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Eröffnung der Pferdeeisenbahn nach Tegel eine Feier im Gesellschaftshaus „Zum Leydecker“ statt. Etwa 70 Personen feierten bis 3 Uhr morgens.
Am 13.7.1900 wurde der Straßenbahnverkehr nach Tegel auf elektrischen Betrieb umgestellt. Bei der „Dicken Pauline“, wie der Gefangenen-Transportwagen zum Tegeler Gefängnis genannt wurde, geschah die Umstellung am 12.9.1900. Diese Wagen hatten die Signalfarbe weiß mit gelbem Strich.
Mit der Fertigstellung und Inbetriebnahme der U-Bahn nach Tegel Ende Mai 1958 wurde hier der Straßenbahnbetrieb eingestellt.
Text: Gerhard Völzmann
1958 wurde die U-Bahn nach Tegel eingeweiht
Wie doch die Zeit vergeht. Fast 60 Jahre sind vergangen, seit am 31.5.1958 die U-Bahn über den Kurt-Schumacher-Platz hinaus nach Tegel verlängert wurde. Lesen Sie nachfolgend einen kleinen Rückblick.
Am 31.1.1912 wurde die landespolizeiliche Genehmigung zum Bau einer U-Bahn in Nordsüd-Richtung erteilt, deren Inbetriebnahme als Teilstrecke Hallesches Tor – Stettiner Bahnhof – Seestraße allerdings bis 1923 dauerte. In den Jahren 1924 – 30 folgte der gabelförmige Ausbau in südöstlicher Richtung bis Neukölln und in südlicher Richtung bis Tempelhof.
1929 schlug der damalige Stadtrat für Verkehrswesen, Ernst Reuter, eine Verlängerung der U-Bahnlinie C in nordwestlicher Richtung bis zur Scharnweberstraße in Reinickendorf vor. Tatsächlich wurden Bauarbeiten aufgenommen und Tunnelstücke fertig, doch die Arbeiten wurden wieder eingestellt. Erst am 17.8.1953 beschloss der Senat von Berlin, eine Verlängerung der U-Bahnlinie über Seestraße hinaus in Richtung Tegel vorzunehmen und zunächst mit einer Teilstrecke bis zum Kurt-Schumacher-Platz zu beginnen. Der erste Rammschlag in der Seestraße erfolgte am 26.10.1953. Die 2,4 km lange Verlängerung konnte am 3.5.1956 in Betrieb genommen werden. Der durch die Tunnelstrecke angefallene Erdaushub wurde bereits für eine Dammaufschüttung eingeplant, die im zweiten Bauabschnitt anfiel. Hinter dem U-Bahnhof Holzhauser Straße schlossen dann im Frühjahr 1956 die Bauarbeiten für das Tunnelstück bis zum Endbahnhof Tegel an. Diese Arbeiten dauerten zwei Jahre. Die Betriebseröffnung des 4,3 km langen Bauabschnittes vom Kurt-Schumacher-Platz bis nach Tegel am 31.5.1958 bedeutete für Bewohner, Beschäftigte und Ausflügler den lange erwünschten Anschluss Tegels an das U-Bahnnetz. Der Abschluss der insgesamt 6,7 km langen Anschlussstrecke in einer Bauzeit von 4 ½ Jahren wurde in Tegel im Rahmen einer Tegeler Woche gefeiert. Durch die Verlängerung der U-Bahnlinie musste die BVG ihren Wagenpark erweitern. Es wurden 54 Wagen eines neuen Typs zusätzlich in Betrieb genommen. Die Wagen waren ca. 16 m lang und bildeten paarweise eine Zugeinheit mit Führerständen an beiden Enden. So konnten Zwei-, Vier- und Sechs-Wagenzüge eingesetzt werden. Die Wagen verfügten über vollautomatische sog. Scharfenberg-Kupplungen. Zur mechanischen Kupplung einschließlich der Druckluft- und elektrischen Steuerleitungen genügte es, wenn die Wagen leicht aneinander fuhren, zur Entkupplung reichte eine Hebel-Bedienung im Führerstand.
Zwei Motore von je 150 kW Leistung erreichten eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h. Leuchtstoffröhren beleuchteten das Wageninnere, eine Notbeleuchtung bei Ausfall des Bahnstroms wurde durch Akkumulatorenbatterien gespeist.
Die Zugeinheit bot 72 Sitz- und 228 Stehplätze.
Die Umformerstationen konnten die Versorgung von 24 Zügen mit je vier Wagen pro Stunde auf jedem Gleis leisten. Somit war eine Beförderung von 15000 Fahrgästen pro Stunde und Gleis möglich.
Die Zugfolge war in Abständen von 5 Minuten vorgesehen. Die Fahrzeit vom U-Bahnhof Kurt-Schumacher-Platz bis zum U-Bahnhof Tegel betrug 9 Minuten. Dies entsprach einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 28,6 km/h. Auf der gesamten Strecke wurden 21 Züge benötigt. Die Aufstellgleise am U-Bahnhof Tegel konnten während der Betriebspause 8 Züge im Umfang von Vier-Wagenzügen aufnehmen.
1958 verließ der erste Zug den Bahnhof um 4.59 Uhr, der letzte Zug traf um 0.49 Uhr ein.
Es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, auf jegliche Veränderungen seit 1958 einzugehen. Genannt seien nur in Stichworten:
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Linienbezeichnung jetzt U 6 mit Streckenführung nach Alt-Mariendorf,
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Umbenennung des U-Bahnhofs Tegel in Alt-Tegel (1992),
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Zuglänge, von Kurzzügen abgesehen, sechs Wagen (seit Ende Sept. 1996),
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Umbenennung des U-Bahnhofs Seidelstr. in Otisstr. (Jan. 2003),
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Ausstattung des U-Bahnhofs Alt-Tegel mit einem Aufzug (2006).
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Zwischen Kurt-Schumacher-Platz und Alt-Tegel Gleisbett-Reparaturen, Einbau neuer Sicherheitstechnik sowie Weichen vor dem U-Bahnhof Alt-Tegel (April 2007).
Text: Gerhard Völzmann