Vom Verfolgten zum Helfer – Dr. med. Georg Blumenthal auf Maienwerder

Sein Vater starb im Januar 1933, seine Mutter ging 82-jährig 1942 im Ghetto Theresienstadt  – bald nach ihrer Einlieferung – an Unterernährung und Krankheiten zugrunde.

Georg Blumenthal (1888-1964) erhielt 1912 seine Approbation als Arzt, bereits seit 1911 arbeitete er am Robert Koch-Institut (RKI). Er bezeichnete sich selbst als „Christ von Geburt an“, gleichwohl trat er später aus der Jüdischen Gemeinde aus. Er gehörte nach eigenen Angaben vor 1933 einer Freimaurerloge an. 1931 heiratete er die Nichtjüdin Anna Agnes Heinrich. Sie war Sprechstundenhilfe bei ihrem Ehemann.

Nach einem Foto aus seinem Todesjahr 1964. Quelle: Erinnerungszeichen, Museum im Robert Koch-Institut

Dr. Blumenthal gelang es, das komplizierte Wassermannsche Verfahren zum Nachweis von Tuberkulose mit Tierblut wesentlich zu vereinfachen – ohne Tierblut.

Schon 1933 wurde Dr. Blumenthal die Kassenzulassung entzogen, wogegen er Beschwerde einlegte – mit Erfolg; seine Tätigkeit in einem Seuchen-Lazarett wurde ihm als „Frontkämpfereinsatz“ anerkannt. Seine 1932 eingereichte Habilitationsschrift lehnte  die Universität Berlin 1933 ab, obwohl die Fakultät sie bereits positiv beurteilt hatte. 1942 musste das Ehepaar Blumenthal auf Anordnung der Gestapo und nach Denunziation durch eine Parteigenossin seine Wohnung in der Oldenburger Straße 47 verlassen; auch nach dem Krieg lebte die Denunziantin unbehelligt in der Blumenthalschen Wohnung. Erst vier Wochen später erhielten die Blumenthals eine „Judenwohnung“.

Immer wieder erging an Georg Blumenthal die Aufforderung, sich bei der Gestapo zu melden; ein Polizeioberleutnant warnte ihn jedes Mal vor dem Auftauchen der Gestapo bei ihm zu Hause. Er „… beobachtete nicht ohne geheime Schadenfreude, wie Himmlers Schergen vergeblich nach ihm fahndeten.“ Für den 30. Januar 1944 war er wieder zur Gestapo vorgeladen; aber am gleichen Tag wurde die Wohnung des Ehepaares im Hansaviertel ausgebombt. Da sich Georg Blumenthal extrem gefährdet sah,  beschlossen er und seine Frau unterzutauchen. Er verfügte über einen Wehrpass, was ihm das Untertauchen erleichterte – er hatte immerhin ein Papier, mit dem er sich notfalls ausweisen konnte. 17 Tage übernachteten sie in Bunkern. Im März zogen sie nach Kähme, Kreis Birnbaum (Warthegau), heute Polen. Sie wohnten bei einem Polen und waren polizeilich gemeldet. Georg Blumenthal behandelte Polen, die von deutschen Ärzten nicht versorgt wurden. Aber dann bekam der Vermieter Angst, einen „Volljuden“ aufgenommen zu haben. Georg Blumenthal ging daher im April 1944 nach Berlin zurück, während seine Frau weiter in Kähme bei Bauern arbeitete, auch um ihren Mann versorgen zu können. Er nutzte nun die gemeinsame Laube auf der Insel Maienwerder  im Tegeler See, war aber nicht polizeilich gemeldet und verfügte auch nicht über Lebensmittelkarten. Im Herbst kam Frau Blumenthal ebenfalls auf die Insel Maienwerder, ohne sich polizeilich anzumelden, um ihren Mann nicht zu gefährden. Im April 1945 wurden sie befreit. Ein nach dem Krieg gestellter Antrag auf Geldentschädigung wurde abgelehnt, da er „nicht begründet sei“.

Dr. Blumenthal arbeitete 20 Jahre lang als Assistent am Serologischen Institut des Robert Koch-Instituts, später als Ober-Assistent, ab 1928 auch als selbständiger Augenarzt, sowie als Dozent für Bakteriologie und Immunologie an der Berliner Universität. Ab 1939 wurde ihm die Ausübung der Arzttätigkeit untersagt, nur jüdische Menschen durfte er als „Augenbehandler“ medizinisch versorgen.

Bei seinem Antrag, als Opfer des Faschismus anerkannt zu werden, gab Georg Blumenthal als Zeugen auch „Ernst Biernatzki, Dienststellenleiter, Saatwinkel“ an – mit dem handschriftlichen Zusatz „echter Antifaschist“ und „Illegaler“. Biernatzki bestätigte dies durch seine eidesstattliche Versicherung.

Blick vom Fährhaus Saatwinkel auf Maienwerder – von Lienhard Schulz – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15512085

In seinem Lebenslauf für den Antrag beschreibt Georg Blumenthal die Lebensumstände auf Maienwerder: „Wir ernährten uns … durch Fangen von Kaninchen und bekamen durch die Mildtätigkeit fremder Menschen Kartoffeln, Kohlrüben, von Zeit zu Zeit Brot, einmal sogar Margarine. Butter fehlte uns leider völlig. Das Abhören des englischen Senders, der die Hoffnung auf ein baldiges Ende wachhielt, mit einem selbstverfertigten Radio hielt uns aufrecht und ließ uns auch die grimmigste Kälte vergessen, wenn wir am Morgen nur 2 Grad Kälte in unserer Laube hatten.“ Die Wasserpumpe umwickelte er mit Stroh, um sie im Winter vor der Kälte zu schützen. Auch als Bunkerbauer und „Luftschutzwart“ musste er sich betätigen, da auf Valentinswerder im Gegensatz zur allgemeinen Verdunklungspflicht Lichter brannten, so sollten die Bomben vom Rüstungsbetrieb Rheinmetall-Borsig auf die Inseln im Tegeler See gelenkt werden. Auch die Blumenthalsche Laube wurde mehrfach durch Bombentreffer beschädigt. „Im Frühjahr bekam unsere Insel Zuzug von entflohenen Soldaten und Volkssturmleuten, die von uns untergebracht und mit den neuesten Nachrichten über den Vormarsch unserer Befreier versorgt wurden, eine Betreuung, die wir schließlich bis zum Russeneinmarsch auch auf die Nachbarinsel Valentinswerder ausdehnen konnten.“

Georg Blumenthal stellte sich nach seiner Befreiung sofort dem Bürgermeister als Arzt zur Verfügung; er wurde am 23. Januar 1946 vom Magistrat (Abteilung Opfer der Nürnberger Gesetzgebung) als Opfer des Faschismus anerkannt.

1946 erhielt er wieder seine Zulassung als Augenarzt und durfte die serologische Abteilung des RKI leiten; er wollte nun seine 1933 zwangsweise unterbrochene Arbeit an der Serodiagnostik (Blutuntersuchung) fortsetzen. Ein Jahr später wurde er Professor an der Berliner Universität. „Er gehörte zu den Mitbegründern der Fachzeitschrift „Blut“ (heute: Annals of Hematology)…“ 1956 erhielt er das „Große Verdienstkreuz zum Bundesverdienstorden“. https://erinnerungszeichen-rki.de/georg-blumenthal/

Georg Blumenthal ließ sich 1958/1959  in der Händelallee 67 im Berliner Hansaviertel von den Architekten Klaus Kirsten und Heinz Nather ein Haus planen und errichten. Obwohl also erst nach der Internationalen Bauausstellung INTERBAU 1957 gebaut, genehmigten Otto Bartning und der leitende Ausschuss der Interbau die Pläne, auch wird das Haus in der Denkmalliste zur Interbau 1957 aufgeführt.

Haus Blumenthal, Händelallee 67, Hansa-Viertel, 1959. Quelle: https://www.h67.de/

1961 konnte er seine 50-jährige Zugehörigkeit zum Robert Koch-Institut, das Goldene Jubiläum, feiern. „Das kinderlose Ehepaar hatte testamentarisch die Gründung der Georg und Agnes Blumenthal-Stiftung verfügt, aus deren Mitteln bis heute die serologische Forschung am RKI gefördert wird.“ https://erinnerungszeichen-rki.de/georg-blumenthal/

  • Blumenthal, Georg, Auskünfte auf dem Fragebogen zum Antrag auf Anerkennung als Opfer des Faschismus, inklusive Lebenslauf, Archiv Centrum Judaicum, 4.1, Nr. 204
  • Stolperstein für Georg Blumenthals Mutter Rosa: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/5172
  • Robert Koch-Institut: Podcast zu Georg Blumenthal in der Reihe Erinnerungszeichen des Museums im Robert Koch-Instituts, Folge 1: https://erinnerungszeichen-rki.de/georg-blumenthal/
  • Maassen, W.: Georg Blumenthal in memoriam (1964). Blut 10 (3): 97-98
  • „Der Robinson vom Tegeler See“, Zeitungsbericht, ca. April 1946, nach einem Interview mit Prof. Blumenthal im historischen Robert-Koch-Saal der Charité, undatierte Kopie, Archiv M. Schröder.
  • Schwoch Rebecca: Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945. Frankfurt am Main 2018
  • Uhlig, Katja – mündliche Informationen

Meinhard Schröder