In einem früheren heimatkundlichen Beitrag wurde bereits berichtet, dass die Deutsche Reichs-Postverwaltung 1873 in Tegel zur Freude und Erleichterung der Dorfbewohner eine Postanstalt eröffnete. Es war eine in der Schloßstraße gelegene Postexpedition. Später (1899) war die nun in der Berliner Straße befindliche Einrichtung bereits ein Postamt 2. Klasse, dass 1900 in die Bahnhofstraße (heutige Grußdorfstraße) umzog.
Das Jahr 1900 war für Postkunden insofern von Bedeutung, als am 1.4. ein „postalisches Groß-Berlin“ eingeführt wurde. Jetzt galten außer in Berlin auch für viele Ortschaften im Umfeld der Stadt ermäßigte Portosätze. Hiervon waren u. a. Reinickendorf-Ost und Reinickendorf-West betroffen, Tegel jedoch nicht. Begründet wurde dies mit einem zwischen Berlin und dem Vorort fehlenden baulichen Zusammenhang.
Zuvor hatten 1896 auf Tegeler Gebiet die Arbeiten für die Errichtung eines Gefängnisses begonnen, die zwei Jahre später mit der Aufnahme der ersten 90 Gefangenen weitgehend abgeschlossen waren. Für diese Haftanstalt, die wir ja heute als Justizvollzugsanstalt in der Seidelstraße kennen, gab es damals eine Besonderheit. Die Tegeler Chaussee, so noch der damalige Straßenname, gehörte nämlich postalisch zu Reinickendorf-West. Das galt somit für die Anstalt selbst wie auch für einen davor befindlichen Briefkasten. Auch die Bernauer Straße zählte zum Ortsbezirk Berlin. Doch warum ausgerechnet diese Straße? Die Erklärung ist, dass die Bernauer Straße einst auf dem Gelände des Schießplatzes lag, mithin dem Militärfiskus gehörte. Lange verhandelte die Gemeinde Tegel mit dem Fiskus zwecks Übernahme der Unterhaltspflicht der Straße. Ausbau und Pflasterung sollten 800000 Mark kosten. Der Fiskus war (November 1907) bereit, Tegel 100000 Mark Entschädigung zu zahlen, doch die Gemeinde bestand auf 120000 Mark. Im Folgejahr bot das Kriegsministerium „wegen der schlechten Finanzlage“ immerhin 105000 Mark an.

Doch zurück zu den Postkuriositäten, die uns Berichte aus den Jahren ab 1904 vermitteln. Der Briefkasten vor dem Gefängnis war „der beliebteste Kasten Tegels“. Hier eingeworfene Briefe wurden zur Ortstaxe von 5 Pfg. nach Berlin befördert. Hingegen erforderten Briefe, die in alle weiteren Tegeler Briefkästen eingeworfen wurden, das Fernporto von 10 Pfg. Die Firma Borsig ließ alle Briefe zum „Gefängnisbriefkasten“ bringen, ebenso das Tegeler Amtsbüro. Monatlich gingen nach Auskunft Tegeler Einwohner 3000 Briefe nur über diesen Briefkasten nach Berlin. Hinzu kamen noch jene Briefe, die direkt nach Berlin mitgenommen wurden. Umgekehrt wurde durch „freiwillige Angaben“ im Juni 1904 ermittelt, dass monatlich etwa 2000 Karten und Briefe in Tegel eingingen, die durch unzureichendes Porto mit Strafen von 10 bis 15 Pfg. belegt wurden.

Kommen wir nun zu besonderen Postkuriositäten. Das Städtische Gaswerk VI in Tegel wurde ab 1902 erbaut und 1905 in Betrieb genommen. Es hatte in der Bernauer Straße gleich im ersten Haus nahe Berliner Straße ein Baubüro. Briefe dorthin waren nach Ortstaxe zu berechnen. Der Fernsprecher hatte die Tegeler (!) Rufnummer 132. Nur wenige Schritte entfernt, auf dem Gelände der Gasanstalt gelegen, befand sich eine Baukantine. Sie raten richtig! Briefe an die Kantine erforderten Fernporto. In der Bernauer Straße lag auch das Wasserwerk der Gemeinde Reinickendorf.

Die Postkarte von Reinickendorf-Ost nach „Borsigwalde bei Tegel“ hätte 1902 5 Pf. Porto gekostet. Mit nur 2 Pf. frankiert, wurden 10 Pf. „Strafporto“ erhoben.

Wenn im Jahre 1904 die Ehefrau des dort wohnhaften und tätigen Heizers St. Hillar eine Postkarte aus Berlin erhielt, dann war diese mit (nur) 2 Pfg. frankiert und gerichtet an „Frau Hillar, Wasserwerk Reinickendorf, in Reinickendorf-West, Bernauer Straße“. Der Ankunftsstempel des Postamtes Reinickendorf (West) war damals noch üblich und trug zumeist das gleiche Tagesdatum wie der Aufgabestempel. In der Bernauer Straße befanden sich damals auch das „Restaurant zum Waldkater“ von Korla, die „Irrenanstalt“ von Thieme und nicht zuletzt das Städtische Wasserwerk. Für diese Anlieger galt ebenfalls das Berliner Ortsporto.
Borsigwalde gehörte 1904 postalisch (seit Gründung als Kolonie 1898) noch zu Tegel, war aber ein Teil der Gemeinde Dalldorf (Wittenau). Wollte man einen Brief von Borsigwalde nach Dalldorf verschicken, dann ging dieser erst nach Tegel, von dort nach Berlin und schließlich über die Nordbahn nach Dalldorf. Das dauerte zum Teil 24 Stunden für eine Strecke, die man in 20 – 25 Minuten zu Fuß zurücklegte. Das Briefporto betrug 10 Pfg. Schon 1901 hatten sich Einwohner von Dalldorf über postalische Missstände beklagt und statt der Postagentur die Errichtung eines Postamtes und die Einführung der Ortstaxe gefordert. Doch es änderte sich zunächst nichts.
Am 23.4.1905 beschäftigte sich noch einmal eine Berliner Zeitung mit dem von und für Tegel geforderten postalischen Nachbarortsverkehr. Das Tegeler Postamt hatte hierzu im Dezember 1904 die folgenden ganz konkrete Zahlen erhoben:

Blicken wir zwischendurch auch auf den Telefonverkehr der damaligen Zeit. Es war kurios, dass die öffentliche Fernsprechstelle in Reinickendorf (West) bis August 1904 zum Ortsbereich von Tegel gehörte. Erst danach wurde sie in den Ortsbereich von Reinickendorf (Ost) einbezogen. Der Sprechbereich und die Gebührensätze waren jetzt dieselben wie für Reinickendorf (Ost).

Am 1.4.1905 gab es in Tegel 292 Telefonanschlüsse und 56 Privatnebenanschlüsse. Tierarzt Ewald Post aus der Schloßstraße 25 hatte natürlich einen Telefonanschluss. „Telephon-Nervosität“ war für ihn der Grund, am 24.10.1905 eine Beschwerdeschrift über eine Telefonistin an das Tegeler Postamt zu richten. Am Vortag verlangte er nämlich eine Verbindung mit einer Berliner Telefonnummer. Erst wurde er falsch verbunden, dann dauerte es mehrere Minuten bis zur richtigen Vermittlung. Post war der Meinung, dass er absichtlich falsch verbunden wurde. Zudem, so der Tierarzt, hätte die Telefonistin während des Sprechens mit ihm auch noch gelacht. Die Beschwerdeschrift schloss mit der Bemerkung: „Er sei nicht gesonnen, sich durch Albernheiten des weiblichen Telegraphenpersonals chikanieren zu lassen.“

Es folgte ein Gerichtsverfahren wegen Beamtenbeleidigung. Das Schöffengericht verurteilte Post zu einer Geldstrafen von 20 Mark. Post legte gegen das Urteil Berufung ein und wurde nun freigesprochen. „Da dem Angeklagten geglaubt worden, daß er von der Wahrheit seiner Wahrnehmungen vollständig überzeugt gewesen, so habe er auch von Albernheit sprechen können, ohne die Grenzen des § 193 zu überschreiten. Junge Damen, auch wenn sie im Postdienste beschäftigt seien, lachen doch bekanntlich gern und würden leichter nervös als Männer, und wenn der Angeklagte dieser Erfahrung entsprechend das Wort ´Albernheit` anwandte, so sei daraus nicht die Absicht der Beleidigung zu schließen.“ So die Begründung des Gerichts im Berufungsverfahren.

1907 wurde der Telefonverkehr nach den nördlichen Vororten Berlins als mangelhaft bezeichnet. So war das Tegeler Amt so sehr überlastet, „daß es geradezu ein Zufall ist, wenn man auf den ersten Anruf Anschluß erhält… Hier (u. a. in Tegel) sind so wenig Leitungen vorhanden, daß die Telephon-Beamtinnen, wenn der Anrufer schließlich eine Viertelstunde vergeblich versucht hat, von Reinickendorf nach Tegel Verbindung zu bekommen, aus Mitleid den Anschluß über das Amt 1 Berlin herstellen.“
Kommen wir nun wieder zum Ortsporto zurück. Mehrfach war dies für die Tegeler Gemeindevertreter ein Tagesordnungspunkt ihrer Versammlungen. So im Juni 1906, nachdem die Postbehörde die Einbeziehung des Ortes in die Berliner Ortstaxe ablehnte. Das Gefängnis und die gesamte Bernauer Straße gehörten zum Ortsbereich, wie ja schon weiter oben berichtet, das Städtische Gaswerk hingegen nicht. Wer konnte das verstehen?

In der Gemeindevertretersitzung im Februar 1907 wurde bekannt, dass sich die Firma Borsig auf Veranlassung der Potsdamer Handelskammer bereiterklärt hatte, die Gemeinde Tegel bei der Bemühung zur Einführung der Ortstaxe zu unterstützen. Die Post hatte nach der letzten Tegeler Eingabe geantwortet, dass „auch nach nochmaliger Prüfung die Einführung nicht möglich sei“. Das Gefängnis, die Bernauer Straße und (nun immerhin auch!) die Berliner Gasanstalt seien „weit abliegende Ausbauten“. Dabei lagen doch die „Ausbauten“ näher an Tegel als an Reinickendorf. Eine neue Eingabe Tegels war vorgesehen mit dem Hinweis, dass Befürchtungen eines Umsatzrückganges nicht stichhaltig seien. Schließlich brachten ja jetzt schon fast alle Industriellen und die Gemeinde alle Briefe zum „Gefängnisbriefkasten“. Gemeindevertreter Borsig bat gar, in Zukunft den Empfang aller falsch frankierten Briefe abzulehnen, also kein Strafporto zu bezahlen.

Am 13.8.1907 waren die Tegeler Postkuriosa erneut ein Thema der Gemeindevertreterversammlung. Die Oberpostdirektion Berlin hatte eine Petition der Gemeinde Tegel abgelehnt, eine solche der Gemeindevertreter beim Staatssekretär war noch unbeantwortet. Doch auch sie ließ keinen Erfolg vermuten. Die Postbehörde wurde zu einer Lokalbesichtigung eingeladen.
Derweil war es weiter Tatsache, dass sich in Tegel die Briefboten der Postämter von Reinickendorf-West und Tegel auf ihren Wegen begegneten. Der aus Reinickendorf-West versorgte seinen oben genannten Bereich mit Post, wobei nun auch als besonderer Bestellbezirk die neuen Fabriken auf Borsigwalde-Wittenauer Gebiet gehörten. Jener aus Tegel hatte die Bewohner und Firmen des ganzen weiteren Tegel-Areals zu bedienen. Es kam aber auch vor, dass Briefe erst nach Tegel geschickt wurden, von dort aus über das Briefpostamt in Berlin (Königstraße) geleitet wurden und dann vom Postamt 39 nach Tegel (Bezirk Reinickendorf-West!) gelangten. Endlich, im Dezember 1910, meldeten dann verschiedene Zeitungen, dass zum 1.1. kommenden Jahres der Nachbarortsverkehr von Groß-Berlin voraussichtlich wieder eine Erweiterung erfahren würde.
So wurden u. a. die Vororte Tegel, Wittenau und Borsigwalde genannt. Briefe von Berlin dorthin und umgekehrt würden dann nur noch einem Porto von 5 Pfg. unterliegen. Tatsächlich wurde ab 1.1.1911 die Ortsbrieftaxe von Groß-Berlin u. a. auf die zuvor genannten Ortsteile ausgedehnt. Der „Gefängnisbriefkasten“ verlor damit seine Bedeutung. In der Auflistung der Tegeler Briefkästen (siehe oben) ist er nicht mit angegeben, weil er ja zum Postamt Reinickendorf-West gehörte.

Blicken wir nun noch in das Jahr 1913. Am 30.12. berichtete eine Zeitung über „Postalische Willkür. Ein Notschrei aus dem Norden“. Es betraf die Nachbarortstaxe und hier insbesondere Hermsdorf und Waidmannslust. Die Einwohner dieser Ortsteile ärgerten sich über Briefe, die mit einer blauen 15 oder 25 „verziert“ waren, der Briefträger also Nachporto erhob. Ein Brief bis zu 250 g kostete im Nachbarortsverkehr 5 Pfg. Porto. Doch die genannten Orte gehörten nicht zur Berliner Nachbarortsgemeinschaft, den baulichen Zusammenhang mit Berlin sah die Postbehörde nicht. Kurios war hingegen, dass Hermsdorf für ein Gespräch mit (nur) 10 Pfg. Kosten telefonisch zum Nachbarortsverkehr gezählt wurde, weil die Vermittlung durch das Amt in Tegel erfolgte.Die Kolonie „Freie Scholle“ gehörte kommunal zu Tegel, jedoch anfangs postalisch zu Waidmannslust. Als Tegel 1911 die Nachbarortstaxe bekam, bemühten sich die „Schollaner“ (erfolgreich) um eine postalische Einverleibung nach Tegel. Ein Brief bis 250 g nach Berlin konnte jetzt mit einer Briefmarke von nur 5 Pfg. frankiert werden. Ein Brief bis 20 g, in einen nur wenige hundert Meter entfernten Waidmannsluster Briefkasten eingeworfen, kostete 10 Pfg. Wog er 21 g, mussten gar 20 Pfg. bezahlt werden.

Als „schrankenlose Willkür“, so die Zeitung, beleuchtete sie zudem „einen besonders krassen Fall“. Damit war Tegelort gemeint. Einen baulichen Zusammenhang mit Tegel oder gar Berlin gab es hier ohne Zweifel nicht. Trotzdem galt hier die Nachbarortstaxe, „nur weil die Tegeler Briefträger zweimal täglich den Genuss haben, mit den Postsachen nach Tegelort und zurück zu pilgern.“
Soweit unser Rückblick in eine Zeit vor über 100 Jahren mit jenen postalischen Problemen, die die Einwohnerschaft von Tegel und Umgebung bewegten.

Zu diesem Mahnmal für Opfer des Faschismus, auf dem Namen von Tegeler Bürgern stehen, sucht Carolin Mueller von der AG Stolpersteine Reinickendorf nach Informationen und Erinnerungen (siehe Abbildung). Auf dem Mahnmal ist auch der Name Selma Kirschner aufgeführt. Mueller recherchiert derzeit über das Leben dieser Frau, die im Jahr 1941 mit nur 19 Jahren in Auschwitz ermordet worden ist. Die Kopie des Fotos stammt aus den Unterlagen von Selma Kirschners Tochter. Noch für dieses Jahr ist die Verlegung eines Stolpersteins für Selma Kirschner an ihrem letzten frei gewählten Wohnort in der Freien Scholle geplant.

Der Geschichtswerkstatt Tegel ist bereits die Lokalisierung des Mahnmals gelungen. Es stand ungefähr in der Mitte der Straße Alt-Tegel, wo sie auf die Berliner Straße trifft. Im Hintergrund des Fotos ist das ehemalige Kepa-Kaufhaus zu erkennen. Das Mahnmal listet unter den von den Nationalsozialisten umgebrachten Mitbürgerinnen und Mitbürgern auch Gerhart Lesser auf. Gerhart Lesser hatte sich mit seiner Frau Gerda Lesser zeitweise auf Reiswerder verstecken können, bevor beide mit den anderen drei auf Reiswerder Untergetauchten von der Gestapo festgenommen und in KZs verschleppt wurden.

Wir fragen: Wer erinnert sich an das Mahnmal? Wann wurde es abgerissen und warum? Wer weiß vielleicht mehr über die auf dem Mahnmal erwähnten Tegeler? Antworten bitte an: havelbruegge(et)posteo.de (für „et“ bitte @ einsetzen, Spam-Schutz).

Informationen über die Arbeit des Projekts Stolpersteine in Berlin: www.stolpersteine-berlin.de

Die Namen der Humboldt-Brüder, aber auch der Schießplatz waren im 19.Jahrhundert wohl Synonyme für das damals noch im Kreis Niederbarnim gelegene Dorf Tegel. Als ab 1848 die Zeitschrift Kladderadatsch herausgegeben wurde, griff diese auf humorvoll-satirische Weise gern mit unterschiedlichen Beiträgen das Thema Tegeler Schießplatz einschließlich des dort tätigen Militärs auf. Passagen aus diesen Blättern wie auch aus anderen Quellen mögen – in chronologischer Reihenfolge und in damaliger Schreibweise zusammengestellt – auch heute noch zu einem Schmunzeln über ein Tegel vergangener Zeiten anregen.

 

Der Sorglose

Lieblich ist´s , an Maientagen
Sich im Frei´n (es geht so selten!)
zu erquicken mit Behagen,
Ohne stark sich zu erkälten.
Heute, glaub´ ich, kann man´s wagen!
Auf! Hinaus mit Kind und Kegel!
Auf! Nach Treptow, Pankow, Tegel!
Laßt den Preußenadler ruhn –
Spargel gibt’s mit jungem Huhn! –
Andre Zeiten, andre Vögel!

(Mai 1867)

 

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Von der enormen Kostspieligkeit der neuen Wurfgeschosse kann man sich in ungebildeten Kreisen noch immer keinen rechten Begriff machen. Nach zuverlässigen Berechnungen reicht ein Schuss in Tegel hin, um Professor Kiepert[1] die erbetene Unterstützung zu einer Reise nach Egypten und Palästina gewähren zu können, wenn er nämlich nicht getan wird – der Schuss in Tegel.                                                                                                      (Nov. 1869)

***

Schultze und Müller unterhalten sich über das Tegeler Wasserwerk.[2]

Schultze.       Ach Jotte doch! Ach Jotte doch! Es is schrecklich!

Müller.            Was jammerst du denn so, Schultze?

Schultze.       Nee, es ist zu doll! Zwanzig Millionen haben die
Brunnenanlagen in Tegel vor die Berliner Wasserleitung
gekostet, und nu soll des Wasser nischt toogen, und des janze Jeld – –

Müller.            Is ins Wasser jeworfen und in´n Brunnen jefallen?

Schultze.       Leider! So is es!

Müller.            Ja, was werden nu die Väter der Stadt alleweile machen?

Schultze.       Wer weeß? Ich denke mir, sie werden´s nu wol auf´s neue mit Pumpen versuchen.

Müller.            Ich jloobe ooch!

(Juni 1879)

 

***

Rechenaufgabe für Artilleristen

Wenn bei einer Heeresstärke von 401368 Mann ein 16 Centner schweres Geschütz in Tegel gestohlen werden konnte: wie schwer muß ein Geschütz sein, um bei einer Vermehrung der Armee um 26000 Mann ausgeführt zu werden?

(Febr. 1880)

 

***

Wir können Ihnen nur rathen, daß Sie ihre liebe Frau langsam an das Schießen zu gewöhnen suchen, indem sie in Etappen immer näher an den Artillerie-Übungsplatz in Tegel ziehen.

Für´s Erste hat es indessen keine Noth, denn Krieg führen ist theuer und die Herren da unten scheinen nicht in so glücklicher Lage, wie Sie, „daß sie es dazu haben!“

Die Redaction.

(Okt. 1885)

 

***

Tegel. Hier fanden spielende Kinder kürzlich einen unheimlich aussehenden Gegenstand, der von den zu Rathe gezogenen Ortsbewohnern allgemein für eine fehlgegangene Granate angesehen wurde. Niemand wagte denselben zu berühren, endlich erkannten telegraphisch herbeigerufene Militärpersonen in demselben – eine blecherne Kuchenform, welche jedenfalls eine landpartiende Dame aus ihrer Tournüre verloren hat.

(Juli 1886)

 

***

 Die Schutzmanns-Patrouille.

Berliner Schutzmann 1896

Wie ragt so hoch und stattlich
Das Brandenburger Thor!
Draus reitet ernst und würdig
Die Doppel-Patrouille hervor.

Vom Helm bis zu den Hufen
Kein Makel an Mann und Roß!
Scharf mustern beide Reiter
Der Promenirenden Troß.

Sie reiten in strammer Haltung
Die Siegessäule hinab;
Sie wenden die Rosse und kehren
Zurück in scharfem Trab.

Und wenn sie ihre Strecke
Mit Sorgfalt revidirt,
So reiten sie heim zur Wache
Und melden, daß nichts passirt.

Beraubt von Strolchen werden
Im selben Augenblick
Zwei Sommergäste bei Tegel
Und drei bei Köpenick.

(Febr. 1892)

 

***

Nach der „Tegeler Zeitung“ bewohnt im Hause Schlieperstraße Nr. .. der Arbeiter Gustav S. mit der unverehelichten Caroline K. eine und dieselbe Stube. Am 5. Sept. hat nun der Amtsvorsteher Weigert an die beiden ein Schreiben erlassen, in dem es heißt: „Ferner wird Ihnen hiermit das Aufliegen bei einander sowie das Zusammenwohnen in demselben Hause verboten.“ Der Ukas ist wirkungslos geblieben, wahrscheinlich weil die Adressaten nicht gewußt haben, was mit dem „Aufliegen bei einander“ gemeint ist. Sie haben deshalb ein Strafmandat über 30 M. event. 3 Tage Haft erhalten, und zugleich erklärt ihnen der Herr Amtsvorsteher: „Gleichzeitig verbiete ich hiermit nochmals das Zusammenwohnen und Aufliegen bei einander.“ Hoffentlich hat diese zweite Ermahnung den gewünschten Erfolg.

(Sept. 1904)

 

***

In den „Wittenauer Nachrichten“ (Amtliches Publikationsorgan für den Amts- und Gemeindebezirk Berlin-Wittenau) lesen wir eine Bekanntmachung des Amtsvorstehers Stritte, Berlin-Tegel; sie beginnt mit folgenden Worten: „Fundsachen. Im Fundbüro sind als zugelaufen gemeldet: 1 Rehpintscher, 1 brauner Box-Hund, 1 Ziege, 1 Handtasche, 1 Maulkorb.“ Unglaublich, was in Berlin-Tegel so alles zuläuft. Oder hat die Ziege den Maulkorb und der Rehpintscher die Handtasche mitgeführt?

(Sept. 1918)

 

***

Der Vorort Tegel liegt an einem See. Der See hat notgedrungen ein Ufer. Für dieses Ufer glaubte man in Tegel ein Denkmal benötigen zu müssen und bestellte bei einem Bildhauer  eine Skulptur. Der Bildhauer dachte, ein „Seemärchen“ wäre ganz schön, aber er verstand unter Seemärchen ein riesiges dickes fettes Ungeheuer, das seinen schweren Leib auf den unbekleideten Körper einer Frau gelegt hat und diese gleichsam auszupressen scheint. Als die Tegeler dieses Ding an ihrem Ufer sahen, erhoben sie großes Geschrei und verlangten Beseitigung dieser Geschmacklosigkeit. Schließlich sei Tegel kein See-Märchen, sondern liege an einem Märchen-See. Daraufhin entschloß sich der Magistrat, den Bronzeklumpen abzumontieren und an einer „günstigeren“ Stelle aufbauen zu lassen. Wie man hört, will man auch den Namen ändern. Ich schlage für das fette Biest statt „Seemärchen“ „Drückende Schwüle“ vor.

(Juli 1927)

 

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Wenn ertönt der Schranken Bimmel,
Auto-, Rad- und Menschgewimmel
Hier in Tegel immer noch:
Drum legt bald die Strecke hoch.

(Dez. 1936)

 

Gerhard Völzmann

 


[1]H. Kiepert, Dr. phil., Professor, ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften, Lindenstraße 13

[2]Das Städt. Wasserwerk in der Bernauer Straße hatte anfangs Algenprobleme bei der Aufbereitung des Grundwassers

Im Herbst 1983 fanden sich etwa 25 Tegeler Einwohner und Einwohnerinnen unter dem Dach der Volkshochschule zusammen, um sich in Kursen dem Thema „Bürger erforschen ihren Ortsteil“ zu widmen. Nach vier Jahren präsentierten sie in einer Ausstellung sowie einem Ausstellungskatalog die Ergebnisse ihrer Recherchen zur Geschichte Tegels, während zeitgleich Berlin eine 750-Jahr-Feier beging. Ein Teilnehmer des „Ortsgeschichtlichen Arbeitskreises Tegel“ war Kurt Kersten. Er verfasste 1985 einen Artikel über die einstige Verkehrslage in Tegel, der hier nachfolgend ohne jegliche Änderungen zu lesen ist. Es wurde lediglich eine Abbildung hinzugefügt.

Fischers Restaurant „Lindengarten“ in der Berliner Straße

Seit alters her führte die Poststraße nach Neuruppin und Hamburg von Berlin aus am Dorf Tegel vorbei. Der damals „Neue Krug“, heute „Alter Fritz“, war genauso eine Ausspanne, wie wir sie zum Beispiel im Osthavelland in Ziegenkrug im Krämer fanden. Die Post benutzte die gleiche Ausfallstraße, wie wir sie eigentlich noch heute kennen. Von Berlin ging die Provinzialstraße durch die Scharnweberstraße, Seidelstraße, bis sie am Feldwebelhäuschen am Schießplatz Tegel, heute Flughafen Tegel, die Gemarkung Tegel erreichte.
Die Zeit der Postkutschen ist lange vorbei. Die Pferdebahn nach Tegel gehört der Vergangenheit an. Das Auto hat aber in den 1920er-Jahren die Pferdefuhrwerke noch nicht vollends verdrängt. Ich erinnere mich an die Situation damals, also vor 50 – 60 Jahren. Die Elektrische, wie damals die Straßenbahn genannt wurde, verbindet die Stadt Berlin mit der Vorstadt Tegel. Die Linien 25, 26, 27, 31, 41 und bis Tegelort bzw. Heiligensee 28 und 128 waren neben der S-Bahn für die Tegeler die Verbindung zur Stadt. Von dort bis zur Seestraße wurde in aller Regel die U-Bahn benutzt. Dann dauerte es noch etwa 20 Minuten, um mit der Straßenbahn die Gemarkung von Tegel zu erreichen. Hatte man erst Reinickendorf-West im Rücken, so sah man über die Siedlung Gartenfreunde hinweg die Silhouette des Gaswerkes mit den zwei riesigen Gasbehältern zur Rechten und links die strengen Bauten des Gefängnisses, von zwei Türmen der Gefängniskirche gekrönt. Für Schaffner mit echt Berliner Herz begann oft eine typische Ansage. „Heilanstalt aus hölzernen Löffel“ war identisch mit Gefängnis Tegel. Der nächste Halt wurde mit „Stinkfabrik“ als Gaswerk-typisch angekündigt. Zwei weitere Stationenund der Ausruf „Knochenmühle“ repräsentierte das Borsigwerk.
Nun nur noch zwei Stationen und die Bahnen nach Tegel hatten beim Restaurant „Rasum“, heute „Leiser-Haus“, ihre Endstation erreicht und quietschten in die Hauptstraße, heute Alt-Tegel, hinein. Die genannten Linien waren nicht nur die tägliche, lebenswichtige Verbindung der Tegeler mit der Reichshauptstadt, nein, sie waren auch zum Wochenende die hauptsächliche Verbindung vieler tausender Berliner, um in Tegel neue Kräfte für die oft harte Arbeitswoche zu tanken. In Tegel konnten die Familien Kaffee kochen.
Es ist noch früh am Morgen. Ich stehe an der südlichen Grenze der Gemarkung Tegel und wundere mich über die vielen „Heuwagen“, die in Richtung Berlin fahren. Bald erfahre ich, dass nicht Heu, sondern Kacheln der eigentliche Grund der Transporte sind. Nur 17 km von Tegel entfernt liegt Velten/Mark. Dieser Ort ist als die Heimat des Kachelofens in die Geschichte eingegangen. Von dort fahren die Leiterwagen in der Nacht nach Berlin los, um morgens ihre Fracht zu entladen und gleich anschließend gemächlich die Rückfahrt anzutreten. Jeder Kutscher, jedes Gespann hatte irgendwo eine Raststätte.
Ich erinnere mich, viele Fuhrwerke, die mittags am kleinen „Starkasten“, heute U-Bahnhof Holzhauser Straße, oder am „Lindengarten“, gegenüber Egellsstaße bei Fischer, heute Berliner Straße 65 Ecke Wittestraße, Halt machten. Eine Erfrischung für den Kutscher und einen Beutel Hafer für die lieben Pferde gaben die Kraft für die Heimfahrt. Die Pferde kannten ihren Halt und fanden ihren Weg. Oft übermannte die Müdigkeit die Kutscher und ließ sie selig schlummern. Die Pferde hielten vor ihrem Halt an und die Kutscher wachten auf.
Früh vor Geschäftsöffnung trabten vom Großmarkt aus Berlin kommend die Fleischer und Gemüsehändler, damals Grünkramhändler, mit leichten Kutschwagen Richtung Tegel.
Auf den Straßenbahnschienen konnten die Wagen glatt dahinrollen und kamen auf größere Geschwindigkeiten, als es sonst auf dem Kopfsteinpflaster möglich war. Zur selben Stunde rollten erst Pferdewagen, etwas später Elektroautos von Bolle nach Tegel. Frische Milch, Sahne etc. wurde von den „Bimmel-Bolle-Jungens“ ausgerufen. Der Bolle-Junge saß mit dem Kutscher bzw. Fahrer vorn auf dem Bock. Als Schuljungens versuchten wir die hinteren Plätze zu ergattern. Speziell am Mittag bei der Heimfahrt gelang es oft, bei Bolle mitzufahren. Erwähnt sei hier noch, dass die Regel eingehalten wurde, dass die Jungen mit dem weitesten Schulweg den Vorzug vor allen anderen genossen.
Pferdefuhrwerke aus dem Osthavelland, Vehlefanz, Marwitz und Kremmen erreichten Tegel von Norden her, um die Bewohner mit frischem Landbrot oder im Herbst auch mit Einkellerungskartoffeln zu versorgen. Zu all diesen vielen Wagen gesellten sich mehr und mehr Autos und Motorräder.
Erwähnenswert soll bei diesem Rückblick noch der jeweilige Himmelfahrtstag, Vatertag, betrachtet werden. Ganze Wagenkolonnen von Kremsern brachten die Väter zum Ziel ihrer Sehnsucht und abends zurück zum nicht immer fröhlichen Abschluss des Vatertages. Die öffentlichen Verkehrsmittel der BVG beförderten damals den Fahrgast von zum Beispiel „Alter Fritz“ bis zum Gaswerk oder von Tegel, Endstation, bis zum Eichborndamm für ganze 10 Pfennige.

Wer den Namen Borsig liest, der denkt sicher zunächst an den einstigen Lokomotivbau. In der Zeit um 1923 war das Werk für eine Jahresproduktion von 600 Lokomotiven in 42 Lokomotivständen eingerichtet. Zuvor wurde 1918 die 10000. und 1922 die 11000. Lokomotive fertiggestellt. Doch wir wollen uns hier weder mit der Lokomotivmontage noch mit den weiteren Borsig-Produkten beschäftigten, die von vollständigen Anlagen für die chemische Industrie bis zum Haushaltsstaubsauger reichten. Vielmehr wird hier über die Werkschule berichtet, die das Unternehmen bis zur Ausbombung des Gebäudes im Jahre 1943 unterhielt.

Die Volksschule und spätere Werkschule in der Schöneberger Straße 30 im Jahre 1911

Bekanntlich bestand vor rund 100 Jahren (wie ja auch heute noch) für Jugendliche unter 18 Jahren von der Schulentlassung an eine Pflicht zu einem Besuch einer von der Stadt Berlin oder der Handelskammer eingerichteten Berufsschule. Diese Schulpflicht dauerte normal sechs Schulhalbjahre. Sie ruhte jedoch, solange der Schulpflichtige eine von der Schulaufsichtsbehörde als Ersatz der Berufsschule anerkannte Schule besuchte. Ein solcher Ersatz waren in Berliner Werkschulen von Großbetrieben wie Siemens, AEG und Borsig. Siemens hatte zum Beispiel seit 1906 eine Werkschule, die Firma Borsig seit 1.4.1919. Während der erste Standort der Borsigschen Werkschule nicht bekannt ist, wurde sie (wohl 1923) in die Schöneberger Straße 30 verlegt. Während es eine Schöneberger Straße auf dem einstigen Borsiggelände längst nicht mehr gibt, trägt die damals durchgehende Straße heute die Namen Medebacher Weg und Sterkrader Straße. In der Schöneberger Straße 30 wurde bereits 1909 in einem neu erbauten Gebäude eine Volksschule eingerichtet, zuletzt war hier bis 1923 mit 12 Klassen das Lyzeum Tegel beheimatet.
In der Folgezeit diente der Gebäudekomplex der Firma Borsig für die Ausbildung von Lehrlingen, Praktikanten und Gehilfen als Werkschule. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Gewerbebetriebe mit eigener staatlich anerkannter Werkschule für ihre jugendlichen Arbeiter grundsätzlich Schulbeiträge zu entrichten hatten, wenn die Zahl der die Werkschule besuchenden Jugendlichen unter 10 % der beschäftigten Arbeiter betrug. Bei Borsig waren um 1923 etwa 5500 Arbeiter und 1300 „Beamte“ beschäftigt, mithin mussten bei zusammen 450 Schülern (die ja nicht alle unter 18 Jahre alt waren) Schulbeiträge entrichtet werden. Auf weitere Einzelheiten hierzu wird verzichtet.

Borsigs Werkschule hatte anfangs 5 hauptamtliche und 16 nebenamtliche Lehrkräfte beschäftigt. Vorhanden waren 4 Klassenräume, 1 Physikklasse mit Lehrmittelraum, 1 Vortragssaal mit Kino, Epidiaskop und Projektionsapparat, 1 Raum für Eignungsprüfungen, 2 Büroräume, 2 Lehrmittelzimmer, 1 Lehrerzimmer und 1 Turnhalle.

Ein Schuljahr umfasste 40 Unterrichtswochen, in jeder Woche wurden 11 – 12 Stunden Unterricht erteilt. Eine Klasse bestand aus 20 – 30 Schülern. Der Unterricht orientierte sich stark an der praktischen Tätigkeit. Bürgerkunde, Deutsch, Fachkunde, Naturlehre, gewerbliches Rechnen, Mathematik, Fachzeichnen und Turnen waren die Unterrichtsfächer, die sich zusammen dem Lehrplan der Berufsschulen anpassten. Einzig Arbeitsburschen hatten weder Fachkunde noch Naturlehre, Mathematik und Fachzeichnen. Dem Turnen wurde in der Werkschule im Vergleich zur Berufsschule offensichtlich ein höherer Stellenwert eingeräumt, wie wir nachfolgend noch sehen werden.

Die Werkschule besaß eine ausgezeichnete Lehrmittelsammlung, zahlreiche Maschinenteile und Werkzeuge für das Fachzeichnen, je eine mathematische und technologische Sammlung, Karten für den Bürger- und fachkundlichen Unterricht sowie eine Sammlung von Prüfapparaten. Die Lehrlingsausbildung endete natürlich mit einer schriftlichen und mündlichen Prüfung. Wiesen Lehrlinge irgendwelche Lücken auf, so konnten sie diese nach Schluss der Lehrzeit in der Schule ausfüllen. War hingegen ein Lehrling besonders tüchtig, dann ermöglichte ihm ein Fond den Besuch einer höheren Fachschule.

Lehrlinge bei Borsig im Jahre 1924

Kommen wir nun zum bereits erwähnten Turnunterricht. Für Berufsschulen regelte 1925 ein Ortsgesetz, dass „in mindestens 1 Stunde wöchentlich die körperliche Ausbildung – Turnen, Wandern, Schwimmen, Rudern, Gartenbau usw. – gepflegt wird.“

„Aus der Erkenntnis heraus, daß zur Ausübung eines praktischen Berufes ein Mensch erforderlich ist, der gesundheitlich vollkommen auf der Höhe ist, um sein fachliches Können voll zur Auswirkung zu bringen, hat die Werksleitung der Firma A. Borsig neben der beruflichen Ausbildung ihrer Lehrlinge seit vielen Jahren ihre ganz besondere Aufmerksamkeit auf die körperliche Ertüchtigung gerichtet.“ So der einleitende Satz des Artikels „Leibesübungen in der Werkschule A. Borsig, Berlin-Tegel“ in einem Buch aus dem Jahre 1927. Hieraus sind auch die weiter folgenden Informationen entnommen.

Ein hauptamtlich angestellter Turn- und Sportlehrer erteilte wöchentlich zwei Pflichtturnstunden. Eine Befreiung konnte nur durch ein ärztliches Attest erfolgen. Für den Turn- und Sportbetrieb gab es auf dem Schulgrundstück eine Turnhalle mit vorbildlicher Ausstattung und im Schulgebäude selbst einen Gymnastik- und Boxraum mit modernsten Geräten. Auf dem Schulhof boten sich kleinere Spiele an und auf einem dem Werk gegenüberliegenden Spielplatz Rasenspiele. Ein städtischer, neu angelegter Sportplatz stand für Leichtathletik zur Verfügung. Der nahe Tegeler See ließ einen geordneten Schwimmbetrieb zu. Der Wald lockte im Herbst zum Waldlauf und im Winter zum Rodeln, wobei natürlich Schlitten vorhanden waren. Im Erdgeschoss der Schule, durch einen gedeckten Gang von der Turnhalle erreichbar, lag das Schülerbad. 30 Duschen lieferten warmes und kaltes Wasser. Die Duschen mussten am Ende jeder Turnstunde benutzt werden.
Schon zu Beginn der Lehre wurden von jedem Lehrling Größe und Gewicht ermittelt, um dann in regelmäßigen Abständen die körperliche Entwicklung zu verfolgen. Jede Turnstunde begann mit einem Turnerlied, anfangs einem Liederbuch entnommen, bis der Text auswendig bekannt war. Es folgten Haltungs- und Atmungsübungen als Freiübungen oder aber Übungen am Gerät. Zu jeder Stunde gehörte zudem ein fröhliches Spiel. Das abschließende Duschen wurde bereits erwähnt.

Von Anfang Mai bis Mitte Juli standen leichtathletische Übungen im Vordergrund, so insbesondere der Lauf mit langsamer Steigerung, aber auch Wurf- und Sprungübungen. „Kampf dem nassen Tod!“ war ein Motto der Schule, jeder musste Schwimmen lernen. Lag der Anteil der Schwimmer 1924 bei 59,6 %, so erhöhte er sich 1925 bereits auf 83,75 %. Wurden im Sommer Faust- und Schlagballspiele bevorzugt, so wurden im Herbst ruhige Waldläufe sowie Hand- und Fußballspiele bevorzugt. Jeder Junge wurde dabei auch mal zum Amt des Schiedsrichters herangezogen. Damit wurden objektive Urteile geweckt. Fiel der erste Schnee, ging es mit den Rodelschlitten in den Tegeler Wald. Der Apolloberg in Schulzendorf lockte mit seiner Höhe von 65 m zu „sausenden Fahrten“.

Bei ungünstiger Witterung gehörten zum Hallenturnen Gymnastik, Seilspringen, Geräteturnen, Ringen usw. Beliebt waren auch Schwimmabende im Hallenbad. Damit noch nicht genug. Mit Wettspielen der verschiedensten Ballspielarten wurden die Kräfte der Jungen untereinander gemessen. Bei allgemeinen Wettkämpfen erzielten die Borsigschen Werkschüler eine große Anzahl an ersten und zweiten Preisen. So nahmen sie zum Beispiel am 29.6.1927 im Plötzensee an einem Schwimmfest für die Werkschüler der Berliner Großindustrie sowie am 26.1.1930 an Schwimmwettkämpfen im Stadtbad Wedding, Gerichtsstraße, teil. Veranstalter war hier der Lehrlingssportverband Groß-Berlin, die Turn- und Sportgemeinschaft der Berliner Werkschulen.
Im Turnbetrieb in der Werkschule durfte der Turnboden nur in kurzer Turnhose, Hemd und Turnschuhen betreten werden. Die Kleidungsstücke beschaffte die Firma Borsig und gab sie dann zum Selbstkostenpreis ab. In kleinen Beträgen wurde die Gesamtsumme später wöchentlich vom Lohn einbehalten. Die Schüler trugen bei Wettkämpfen gern die mit besonderem Abzeichen und den Anfangsbuchstaben der Schule versehenen Kleidungsstücke. Alle Schüler waren übrigens bei einer privaten Gesellschaft gegen Unfälle bei Ausübung des Sports versichert.
Als Folge des Turnunterrichts waren die Werkschüler bestrebt, im Laufe der Lehrzeit das damalige Reichsjugendabzeichen zu erwerben. Jugendliche, die über 18 Jahre alt waren, konnten sich auch für die Prüfung zum Deutschen Turn- und Sportabzeichen vorbereiten. Blicken wir abschließend noch in das Jahr 1938. Die Werkberufsschule Rheinmetall Borsig, wie sie nun hieß, hatte 22 Klassen mit 560 Schülern und eine Handelsschule 2 Klassen mit 42 Schülern. Gewerbeoberlehrer Reich leitete die Schule. Die Namen von Rinno und Rabe sind als weitere Gewerbeoberlehrer und der von Groß als Handelsoberlehrer überliefert.

Die Schule wurde, wie eingangs erwähnt, 1943 durch Bombentreffer zerstört. Nach dem Krieg wurde eine neue Werkschule nicht mehr gegründet.

Nennen wir ihn Walter Lehmann, jenen Polizisten, aus dessen Leben dieser Rückblick berichtet. Der Mann wohnte mit seiner Familie viele Jahre in Tegel und arbeitete hier auch, bis er später in anderen Ortsteilen von Reinickendorf tätig war. Sein Leben währte von der Kaiserzeit der 1890er Jahren bis in die 1950er Nachkriegsjahre. Es war eine ereignisreiche Zeitspanne. Erinnert sei nur an die beiden Weltkriege, die Inflation, Hitlers Machtergreifung, den Zusammenbruch des Staates, die Viermächteteilung Berlins und die Blockade West-Berlins.
Im Jahre 1893 hatte Berlin 1.692.172 Einwohner, wobei in dieser Zahl 23.484 Personen enthalten waren, die dem Militär angehörten. In demselben Jahr wurden 25.352 Jungen und 24.371 Mädchen, mithin täglich etwa 140 Babys geboren. Zwei Jahre später erblickte irgendwo im Häusermeer der Kaiserstadt Berlin auch der kleine Walter Lehmann das Licht der Welt. Vom 6. – 14. Lebensjahr besuchte das Kind eine Volksschule, um dann 1909 aus der I. Klasse, wie damals noch üblich, entlassen zu werden. Es folgte bis 1912 eine Lehre in Eberswalde, die Lehmann mit Erfolg als Handlungsgehilfe in einem Kolonialwaren- und Delikatessengeschäft abschloss. Im genannten Ort wie auch in Angermünde arbeitete Lehmann dann bis 1914 im erlernten Beruf.

Noch vor Ausbruch des 1. Weltkrieges (2.8.1914) meldete sich Lehmann beim Militär zu einem freiwilligen Eintritt. Hierfür benötigte er eine Erlaubnis des Zivilvorsitzenden der Ersatz-Kommission des Aushebungsbezirks Angermünde, die ihm am 11.5.1914 für einen freiwilligen Diensteintritt für 2 – 4 Jahre erteilt wurde. Vom September 1914 bis Dezember 1918 diente er bei der Matrosenartillerie in Kiel und beim Marinekorps in Flandern. Vom 1.3. – 8.5.1919 gehörte Lehmann kurze Zeit der Streifabteilung der Brigade Reinhard an, um dann am 6.6.1919 als Unterwachtmeister zur neu gegründeten Sicherheitswehr zu wechseln. Aus dieser entstand die Sicherheitspolizei, deren Angehörige grüne Uniformen trugen. Der Sicherheitspolizei folgte in Berlin die Schutzpolizei. Lehmann wurde am 1.9.1920 zum Wachtmeister beförderte. Er verrichtete seinen Dienst bei der 1. Hundertschaft der Polizei-Abteilung Tegel. Durch Bestallungs-Urkunde v. 20.6.1921 erfolgte eine Ernennung zum etatmäßigen Polizei-Wachtmeister der Schutzpolizei in Berlin, nachdem Lehmann seine Befähigung nachgewiesen und Proben seiner „Geeignetheit“ abgelegt hatte. Am 1.4.1923 erfolgte eine Beförderung zum etatmäßigen Polizei-Oberwachtmeister.
Im Oktober und November 1923 besuchte der Oberwachtmeister einen abgekürzten Beförderungslehrgang, den er mit dem Gesamturteil „gut“ abschloss. Dabei wurde er sogar von der mündlichen Prüfung befreit.
Vom Mai 1924 – März 1926 besuchte Oberwachtmeister Lehmann beim Kommando der staatlichen Schutzpolizei in Berlin einen Unterrichtskurs für Zivildienst-Anwärter, dessen Prüfung er bestand.
Während dieser Zeit heiratete Lehmann im Jahre 1925. Seine Frau Anna kam aus Schlesien. Das Ehepaar wohnte in Neu-Heiligensee. 1927 stellte sich Nachwuchs ein.
Am 1.4.1928 wurde Walter Lehmann erneut befördert. Nun war er Hauptwachtmeister und unkündbar angestellt. Interessant sind auch Angaben über das Diensteinkommen. So hatte der Polizist bis 31.3.1928 ein ruhegehaltsfähiges Diensteinkommen von jährlich 2946 RM. Hiervon hätten ihm ab 1.4.1928 im Falle einer Entlassung im 1. Jahr 6/8 als Übergangsgebührnisse, im 2. Jahr 5/8 und im 3. Jahr 4/8 zugestanden. Doch diese Beträge ruhten natürlich, weil er ja weiter beschäftigt wurde.
Zu Beginn der 1930er Jahre zog die Familie Lehmann von Neu-Heiligensee nach Neu-Tegel. Hier hatte zu dieser Zeit die „Roland“, Gemeinnützige Wohnungsbau- und Verwaltungsgesellschaft, in einem ganzen Komplex Wohnbauten errichtet. Vermutlich war für die Familie nun ein Lebensabschnitt erreicht, mit dem sie zufrieden war. Während seiner Zugehörigkeit zur Schutzpolizei war Walter Lehmann bis 1925 im Revier-Einzeldienst und seitdem im Revier-Abschnitts- und Kommandobürodienst tätig. Am 20.4.1941 erfolgte eine Beförderung zum Meister. Zwischenzeitlich hatte bekanntlich am 1.9.1939 der zweite Weltkrieg begonnen. Lehmann arbeitete nun in der Abteilung Luftschutz. Ab 21.6.1944 war er Revierleutnant. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Lehmann zu keinem Zeitpunkt Mitglied der NSDAP oder einer ihrer zahlreichen Gliederungen war.
Für den 1945 fast 50-jährigen Walter Lehmann war es besonders tragisch, dass er als Angehöriger der Schutzpolizei noch kurz vor der Kapitulation des Deutschen Reiches, die am 8.5.1945 erfolgte, ab 20.4.1945 unter dem Oberbefehl der Wehrmacht zur Verteidigung Berlins eingesetzt wurde. Der Verband, dem Lehmann angehörte, wurde versprengt. Im Bereich Schiffbauerdamm und Friedrich-Karl-Ufer (Lessing-Theater) sollte die Weidendammer Brücke verteidigt werden. Hier geriet der Polizist am 2.5.1945 in sowjetische Gefangenschaft. Ab 2.10.1945 war er in einem Lager in Posen, es folgte dann ein Lageraufenthalt in Estland. Die Kriegsgefangenschaft währte über vier Jahre.
Während dieser Zeit hatte Lehmanns Ehefrau Anna kein Einkommen. Nur durch Verkauf von Möbelstücken, Bekleidung und Hausrat bestritt sie ihren Lebensunterhalt. Vielleicht war auch ein kleiner Garten vorhanden, denn am 11.9.1949 schrieb Walter Lehmann in einem Brief aus der Kriegsgefangenschaft u. a.: Die Erdbeeren kannst Du ja einwecken. Eine Handvoll lohnt sich ja schon. Kurze Zeit nach Absendung der Kriegsgefangenenpost wurde Lehmann am 30.9.1949 entlassen und traf am 5.10. abgemagert und krank in Berlin ein.
Lehmann wollte nach der Rückkehr wieder bei der Schutz- oder Verwaltungspolizei arbeiten. Doch zunächst wurde er nicht eingestellt. Vielmehr musste er sich arbeitslos melden und Arbeitslosenunterstützung bzw. -fürsorge beantragen. Erst später, ab 1.12.1950, wurde er wieder bei der Polizei eingestellt, und zwar im Angestelltenverhältnis bei der Wachpolizei des Französischen Sektors von Berlin. Vorerst galt eine Probezeit von 3 Monaten und eine Verlängerung im Falle der Bewährung. Lehmann war verpflichtet, in einem der westlichen Sektoren Berlins zu wohnen und seinen gesamten Haushalt dort zu führen. Die Ehefrau und Kinder durften nicht im sowjetisch besetzten Sektor Berlins oder in der sowjetisch besetzten Zone wohnhaft sein. Doch die Familie Lehmann wohnte ja ohnehin weiter in Neu-Tegel. Das Netto-Einkommen betrug zu dieser Zeit 236 DM. Davon mussten fast ein Drittel für Miete, Strom und Gas sowie fast die Hälfte für Lebensmittel ausgegeben werden. Da verwundert es nicht, dass größere unvorhergesehene Ausgaben für finanzielle Probleme sorgten. Gerade bei Heimkehrern aus der Kriegsgefangenschaft waren das oft Zahnbehandlungskosten, weil während der Internierung keine angemessene Versorgung erfolgte.
Lehmann schied am 30.11.1952 aus dem Dienst der Wachpolizei aus, weil er von der Schutzpolizei übernommen wurde. (Schwarze) Uniformstücke, Dienstausweis und den Polizei-Fahrtausweis musste er zurückgeben. Interessant ist auch, dass damals im behelfsmäßigen Personalausweis der Bewohners West-Berlins noch eine Berufsangabe stand. Lehmann wurde daher beim Ausscheiden als Wachpolizist aufgefordert, die Berufsangabe auf seinem Wohnrevier berichtigen zu lassen.
Ab 1.12.1952 galt für Walter Lehmann das Landesbeamtengesetz vom gleichen Jahr. Nach Artikel 131 des Grundgesetzes hatte er einen Anspruch, wieder nach seinem Rechtsstand vom 8.5.1945 beschäftigt zu werden. Lehmann wurde dadurch Polizei-Obermeister.
Ende gut, alles gut? So könnte man meinen, denn Lehmann hatte ja nun beruflich das erreicht, was er 1945 durch den unseligen Krieg aufgeben musste. Doch es kam anders. Die in der Kriegsgefangenschaft aufgetretene Krankheit nahm so zu, dass seine Polizeidienst-Untauglichkeit festgestellt wurde. Lehmann wurde mit Ablauf des 30.6.1953 aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt. Als Ruhegehalt standen ihm 75 % der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge zu. Monatlich waren das rund 380 DM, die versteuert werden mussten. Zudem musste Lehmann bei der damaligen Krankenversicherungsanstalt Berlin (KVAB) eine freiwillige Mitgliedschaft beantragen.
Der Polizei-Obermeister im Ruhestand verstarb 1957 im Alter von 62 Jahren. Wann die Witwe Anna Lehmann starb, ist nicht bekannt.
Abschließend noch eine willkürlich erstellte Tabelle mit Preisen aus den 1950er Jahren:

Die genannten Preise werden aussagekräftiger, wenn man bedenkt, dass das Netto-Einkommen von Walter Lehmann zu Beginn der 1950er Jahre bei 236 DM lag. Von der Vergütung im Ruhestand (380 DM brutto) bestritt dann das Ehepaar seinen Lebensunterhalt.

Gerhard Völzmann

Es gibt sie noch, die Krippenspiele, die während der Gottesdienste am Heiligen Abend aufgeführt werden. Gerade Kindern wird hier die Weihnachtsgeschichte, die bekanntlich von der Geburt Jesu handelt, gut veranschaulicht. Vielleicht erinnern Sie sich ja noch an den Heiligen Abend des Vorjahres, als in der Kirche gleich der erste Gottesdienst mit einem Krippenspiel zum Mitmachen begann. Von den Krippenspielen unterscheiden sich übrigens Weihnachtsspiele dadurch, dass hier weitere biblische Szenen gezeigt werden. Weihnachtsspiele haben eine lange Tradition. So wurden geistliche Schauspiele bereits im Mittelalter zur Weihnachtszeit in ganz Deutschland veranstaltet. Doch im Laufe der Zeit arteten sie aus. Besonders für die Jugend wurden die Spiele Anlass und Vorwand für unnütze Streiche, die mit der kirchlichen Umgebung, in der sie dann stattfanden, im schlimmen Widerspruch standen. Auch in Berlin war das so. Als Folge wurde 1574 eine Verordnung erlassen, nach der der Rat der Stadt angewiesen wurde

die bösen Buben, so in der Christnacht in den Kirchen
alle Büberey verüben, durch die Stadt-Diener herausjagen
oder in die Thürme setzen zu lassen, damit
Zucht in den Kirchen zu erhalten und die Gottfürchtigen
an ihre christlichen Gebete nicht mögen gehindert
noch geärgert werden.

Weihnachtsspiele wurden auch am kurfürstlichen Hof aufgeführt. Junge Prinzen und Prinzessinnen des kurfürstlichen Hauses boten zusammen mit Kindern adliger Familien des Landes 1589 eine „kurze Comedie von der Geburt des Herrn Christi“ dar, die der Musikus Georg Pondo verfasst hatte. Aus dem Jahre 1611 ist überliefert, dass von den Söhnen und Töchtern der kurfürstlichen Familie zu Weihnachten ein „Kinder-Katechismus“ aufgeführt wurde. Er hatte in Fragen und Antworten die Geburt Christi nach der Lehre der Heiligen Schrift zum Gegenstand.

Doch dann nahmen wieder Mummenschanz und Narrenpossen zum Christfest so überhand, dass der Große Kurfürst dem Treiben am 17.12.1686 mit einem nachdrücklichen Verbot belegte. Es hieß hierin:

Nachdem viele Prediger und andere vielfältig geklagt,
daß gegen die Weihnachts-Feste mit dem sogenannten
heiligen Christ viel sehr ärgerliche Dinge vorkommen,
sogar Comedien und Possenspiele dabei gemacht
und getrieben werden: Se. Churfl . Durchl. Unser
gnädigster Herr aber solche Aergernis durchaus
abgeschaffet wissen wollen. Als befehlen Namens
Deroselben Wir Euch solche Aergernis gäntzlich abzuschaffen,
und darüber ernstlich zu halten.

Die Wirkung dieser Worte hielt aber wohl nicht lange an, denn schon am 18.12.1711 mahnte König Friedrich I. in Preußen die Berliner zu weihnachtlichem Ernst mit folgenden Zeilen:

Weil mit denen Lichter-Cronen
auf den Christabend viel Gaukeley
Kinderspiel und Tumult
getrieben wird: als befehlen wir
Euch hiermit nicht allein solche
Christ- und Lichterkronen gäntzlich
abzuschaffen. Sondern
auch die Christ-Messen nicht des Abends, sondern
des Nachmittags um 8 Uhr zu halten.

Den Übermut der Berliner konnte aber auch diese Verordnung auf Dauer nicht zügeln. So wundert es nicht, dass vor dem Weihnachtsfest von 1739 König Friedrich Wilhelm I. noch am 23.12. ein Edikt erließ, nach dem die „Christabend-Ahlefanzereien“ 1, besonders das öffentliche Tragen von Masken und die Verkleidung als Knecht Ruprecht und Engel Gabriel auf das strengste untersagt wurde.

Aus den geistlichen Schauspielen mit ihrem Ursprung im Mittelalter entwickelte sich im gewissen Sinne das Theater, das wir heute kennen. Weltliche Schauspiele entstanden. Damit gerieten auch die Berliner Weihnachtsspiele in Vergessenheit. Teils kamen als Weihnachtsspiele in den Theatern Berlins zu Beginn des 20. Jahrhunderts dramatisierte Märchen für die Kinderwelt zur Aufführung.

Gerhard Völzmann

Es gab einmal eine Kneipe in Tegel, die alle kannten, obwohl kaum jemand hinging. Ja, Eltern verboten ihren Heranwachsenden, erst recht den Mädchen, diese Kneipe aufzusuchen: die „Kajüte“. Die Kajüte war übel beleumdet und stand unter Beobachtung der Kripo. Warum?

Hier trafen sich gewisse junge Leute gleichen Lebensstils, durchschnittlich einhundert, Mädels waren auch dabei, meist am Wochenende, aber auch schon am Donnerstag. Manchmal – es war wohl 1957 – starteten donnerstags bis zu 100 Motorräder von der „Kajüte“ aus zu ihrer Fahrt durch die Stadt, zur „Bierschwemme“ in Schöneberg oder zum „Ri fi fi “, zu Kneipen ähnlichen Rufs wie die „Kajüte“ in Tegel. Für die Polizei stellte ein solcher Aufmarsch von Halbstarken, wie man sie damals nannte, eine echte Herausforderung dar, sie sah darin auch eine Verkehrsgefährdung.

Wen man heute alteingesessene Tegeler fragt, bekommt man immer die gleiche Antwort: „Klar kenn ich die Kajüte.“ Nachfrage: „Und – haben Sie dort verkehrt?“ – „Nein, natürlich nicht. Das durfte ich nicht. Eltern munkelten sogar von Prostitution.“

War die „Kajüte“ wirklich so schlimm und gefährlich? Die, die sie aufsuchten, wollten tanzen, wild tanzen; dort gab es Rock `n` Roll aus der Juke-Box. Also war die „Kajüte“ ein wenig Teil derrebellischen Jugendkultur. Aber nicht nur das. Hier trafen sich auch die Schlachtergesellen aus Tegel und aus Spandau. Man maß gelegentlich seine Kräfte. Die einen trainierten im Spandauer Box-Club, die anderen im Borsigwalder namens BC Concordia.

Die Spandauer Schlachtergesellen sollen besonders kräftig gewesen sein. Wer den Kürzeren zog und unterlag, wurde gelegentlich ins Wasser geworfen.

Und wo fand man die „Kajüte“? Sie war eine Kellerkneipe im „Tusculum“, einem großen renommierten Ausflugslokal, 1910 an Stelle eines einfacheren Vorgängerbaus errichtet – ungefähr dort, wo heute die Seeterrassen stehen. Im „Tusculum“ musste man in anständiger Kleidung erscheinen, die „Kajüte“ hingegen zählte zu den Kutscherkneipen, in denen nach altem Brauch auch die Kutscher mit aufgekrempelten Hemdsärmeln ihr Bier bekamen und sich mit anderen Kutschern trafen. Kellerkneipe – das verströmte schon ein wenig Atmosphäre von Verruchtheit. Hinzu kam, dass das Tusculum im Krieg teilweise zerstört worden war. Nur in der „Kajüte“ konnte der Betrieb aufrechterhalten werden. Kellerkneipe in einer Ruine – das schuf noch mehr Atmosphäre.

Der Besitzer einer Leichtmetallgießerei, Ingenieur Walter Koch, hatte große Pläne: Mit sozialem Wohnungsbau ließ sich Geld verdienen, es gab immer noch zu wenig Wohnungen in Berlin-West, obwohl doch nach Chruschtschow-Ultimatum und Mauerbau viele Betuchte die Stadt verließen, weil sie nicht daran glaubten, dass der Westen West-Berlin gegen „die Russen“ verteidigen würde. Also Wohnungsbau am Tegeler See. Dazu mussten die Ruine des Tusculum und das „Strandschloss“ abgerissen werden. Und die „Kajüte“ mit. So ging ein Stück Tegeler Untergrund verloren. Anstelle des Tusculums ließ Walter Koch das Gebäude für die beiden Großrestaurants „Seeterrassen“ und „Palais am See“ errichten, dichter ran ans Wasser für den schönen Ausblick. Als Architekten engagierte Koch den gebürtigen Tegeler Heinz Schudnagies, geboren in Alt-Tegel 12. Schudnagies durfte den Wohnkomplex aus Neptun und Nixe, die „Seeterrassen“ plus „Palais am See“ und später noch das „Hotel garni“, wie das „Hotel am Tegeler See“ damals hieß, direkt gegenüber den „Seeterrassen“, entwerfen – und noch manchen anderen Bau in Tegel. Die „Seeterrassen“ erhielten im Keller auch eine Kegelbahn. Diese Kegelbahn gibt es heute immer noch – in Räumen neben der „Hafenbar“. Die Hafenbar ist in gewisser Weise die Nachfolgerin der „Kajüte“. Auch wenn es heute dort gesitteter zugeht, zu Rock `n` Roll-Musik wird nach über 60 Jahren wieder getanzt.

Meinhard Schröder