Vor 120 Jahren trieben Not und Elend eine Frau zu einer Verzweiflungstat, die mit einer erschütternden Tragödie endete.

Rückblickend war es eine glückliche Ehe, die die Lenglings führten. 1892 hatten sie gerade die neue Wohnung in Berlin N, Choriner Straße 22 bezogen. Nicht einmal kleine Wölkchen trübten das stille Glück der Familie, zu der die Söhne Max und Paul gehörten. Für den Unterhalt sorgte A. Lengling durch seine Arbeit als Bierfahrer. Das Einkommen hielt selbst kleine Alltagssorgen fern. Karoline Lengling kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder.

Doch das Glück sollte nicht von Dauer sein. Beim Familienvater setzte eine lange andauernde, schleichende Krankheit ein, die schließlich dazu führte, dass A. Lengling seine Arbeit verlor. Opferbereit pflegte die Ehefrau den Mann. Die Familie logierte auch in der Tegeler Hauptstraße 18 b bei dem Gastwirt C. Pump in der Hoffnung, dass eine Genesung einsetzen würde. Damit wurde natürlich viel gespartes Geld aufgebraucht. Schließlich zerbrach das Glück der Familie völlig durch den Tod des Mannes und Vaters.

Frau Lengling war wenig geschäftskundig, sie hatte bisher keine Lohnarbeit verrichtet. Nun musste sie sehen, zunächst einen Beruf zu erlernen. Sie entschied sich für die Mäntelnäherei und absolvierte auch eine Lehrzeit, die aber den Rest des Ersparten völlig aufzehrte. Als die Witwe nach der Lehre daran denken konnte, Geld zu verdienen, griffen Kummer und Sorgen ihre Gesundheit an. Höchstens 8 oder 9 Mark in der Woche erreichte Karoline Lengling, zu wenig, um davon leben zu können. Meist war es noch weniger Geld, weil ihre Krankheit das Maschinennähen nicht zuließ.

Die Gaststätte von C. Pump mit dem Bootssteg im Hintergrund (1897)

Schließlich konnte die Familie nicht einmal mehr den Hunger stillen. Doch die Witwe war zu stolz, um anderen Leuten ihr Leid zu klagen. Indes entging den Nachbarn die Lage nicht. Waren einmal die beiden Jungen bei ihnen in der Wohnung, stürzten sich Max und Paul selbst auf leere Teller, die noch auf dem Tisch standen, und leckten diese ab. Die Nachbarn waren so gerührt, dass sie gelegentlich die für die eigenen Kinder vorgesehenen Mahlzeiten den halb verhungerten Nachbarskindern gaben.
Für die Mutter gab es nichts. Ihre Kräfte schwanden mehr und mehr. Sie sah sich nicht mehr in der Lage, für den Lebensunterhalt sorgen zu können, und fasste den Entschluss, gemeinsam mit den Kindern aus dem Leben zu scheiden. Am 7.11.1894 erzählte die Witwe den Nachbarn, sich einen Ruhetag gönnen und mit den Kindern nach Tegel  gehen zu wollen. Sie würde den Restaurateur Pump besuchen, bei dem ja die ganze Familie im Sommerlogis gewohnt hatte.
Die Lenglings wanderten auch tatsächlich nach Tegel, ohne aber bei Pump einzukehren. Vielmehr gingen Mutter und Kinder bis zum Dampferanlegesteg. Hier sollte der ältere Sohn, der 7-jährige Max, eine unterwegs geleerte Flasche ausspülen. Als sich das Kind tief auf das Wasser beugte, gab ihm die Mutter einen Stoß, dass es hinabstürzte. Gleichzeitig ergriff die Mutter eine Hand des 5-jährigen Paul und sprang mit diesem in das kalte Wasser. Beide Kinder riefen laut um Hilfe. Die gellenden Rufe vernahm Gastwirt Pump. Er lief zusammen mit einem Gast sowie dem Stationsassistenten Krenig zum See. Die drei Männer konnten mit Stangen und Haken Frau Lengling und den Knaben Paul aus dem Wasser retten, während Max nicht entdeckt wurde. Seine Leiche wurde erst am Folgetag angeschwemmt.
Als Pump die halb erstarrte Frau als eine frühere Mieterin wieder erkannte, machte er ihr wegen der Tat Vorwürfe. Davon ließ er aber schnell ab, als die Frau erwiderte: „Ach Gott, hätten Sie mich doch sterben lassen! Ich kann nicht weiter leben!“ Der Gastwirt sorgte dafür, dass die Frau und das Kind trockene Kleidung bekamen. Zum Gemeindeamt gebracht, nahm sie der Gefängniswärter mitfühlend über Nacht in seiner Wohnung auf. Am Folgetag kam die unglückliche Frau dann in das Moabiter Untersuchungsgefängnis.
Frau Lengling wurde des versuchten und des vollendeten Mordes angeklagt. Sie gab die Tat zu und räumte auch ein, mit voller Überlegung gehandelt zu haben. Damit schien der Tatbestand des Mordes erfüllt zu sein. Die Geschworenen des Schwurgerichts des Königlichen Landgerichts II konnten eigentlich nur das „Schuldig“ aussprechen. Für einen vollendeten Mord sah das Gesetz die Todesstrafe vor.
Die Verhandlung vor dem Schwurgericht wurde auf den 14.3.1895, 10 Uhr, anberaumt. Das Interesse der Öffentlichkeit an dem Mordprozess war so groß, dass Eintrittskarten ausgegeben wurden. Der Prozess nahm dann einen Verlauf, der nicht zu erwarten war. Die Angeklagte gab an, dass sie nur sich selbst, nicht die Kinder töten wollte. Sie sei mit den Jungen nach Schönholz gefahren. Hier äußerten die Kinder die Bitte, den Gastwirt Pump in Tegel besuchen zu wollen. Sie sei mitgegangen, könne sich aber „der ganzen Sache“ nicht mehr erinnern. An diesem Tag, so Frau Lengling, habe sie auch nicht vorgehabt, sich das Leben zu nehmen. Heftige Kopfschmerzen hätte sie gehabt.
Nun bekundete eine Zeugin, die Angeklagte habe sich ihr gegenüber geäußert, sich das Leben nehmen und die Kinder nicht zurück lassen zu wollen. Die Zeugin nahm diese Worte nicht ernst. Sie meinte, dass solche Äußerungen ja oft ausgesprochen würden, ohne dass etwas geschah. Für das Gericht war damit die Behauptung der Angeklagten widerlegt, dass die Kinder nicht getötet werden sollten, vielmehr der Hauswirt sie annehmen würde.
Das Gericht stellte weiter fest, dass Frau Lengling oft an Kopfschmerzen litt und dass sie sich in einem jammervollen Ernährungszustand befand. Sie hatte zudem einmal das Rasiermesser ihres verstorbenen Mannes verbrannt aus Furcht, sich damit das Leben zu nehmen. Als sie sich bereits in Haft befand, schrieb sie ihrer Schwester einen konfusen Brief, der auch Grüße an den toten Mann enthielt. All diese Umstände führten Sachverständige zu der Annahme, dass die Angeklagte die Tat in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit unter Ausschluss freier Willensbestimmung ausgeführt hatte. Ganz bestimmt wollten sich die Sachverständigen  aber nicht festlegen. Sie stützten sich auf Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten, die vor und nach der Tat zu beobachten waren. Staatsanwalt Barnau vertrat die Ansicht, dass die Angeklagte nicht im Zustand der  Bewusstlosigkeit gehandelt hatte; Überlegung verneinte er aber. Er plädierte für „Schuldig wegen Totschlag unter mildernden Umständen“. Rechtsanwalt Wronker, der die Angeklagte vertrat, plädierte für eine Verneinung der Schuldfrage. In diesem Sinne gaben die Geschworenen ihren „Wahrspruch“ ab, worauf das Gericht auf Freisprechung erkannte.
Der weitere Lebensweg der Frau Lengling sowie der ihres Sohnes Paul ist nicht bekannt.

Wie bereits in einem anderen heimatkundlichen Rückblick ausgeführt, wurde nach einer landespolizeilichen Abnahme einer neuen Pferdeeisenbahnstrecke nach Te­gel, bei der es „nichts zu erinnern“ gab, am Folgetag durch die Grosse Internationale Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft die Verbindung nach Tegel festlich eröffnet. Nun gab es also vom 4.6.1881 an eine ohne Unterbrechung von der Weidendammer Brücke bis zum Dorf Tegel verkehrende Pferdeeisenbahn. Die neue Bahn nach Tegel trug nicht unerheblich dazu bei, dass sich an den Pfingstfeiertagen des Jahres 1881 (5. u. 6. Juni) gewaltige Menschenmassen mit den Verkehrsmitteln der verschiedenen Unterneh­men „ins Grüne“ begaben. Neben den Straßenbahnen waren dies auch Droschken, Omni­busse, Torwagen und Kremser. Teilweise wurden selbst Arbeitswagen mit improvisierten Bänken ausgestattet und eingesetzt. Durch die Straßenbahnen wurden am Pfingstsonntag 34.124 Mark und am Pfingstmontag 38.908 Mark eingenommen, an beiden Tagen etwa 500.000 Menschen allein durch die Straßenbahnen befördert. Zur Bewältigung dienten 400 Wagen, 2450 Pferde (davon 150 zur Miete!) und beim Personal 1000 „Beamte“, mit Kutschern, Kondukteuren, Kontrolleuren, Weichenstellern und „Stallbeamten“ seien nur die größten Personengruppen genannt.

Die Strecke von der Tegeler Chaussee (heute Müllerstraße / Scharnweberstraße) bis Tegel ging bereits im Folgejahr durch Kauf in das Eigentum der Grossen Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft über. „Damit sind sämtliche Hindernisse gehoben, die der Einrichtung einer direkten Linie Weidendammer Brücke – Dorf Tegel entgegenstanden. Mit Einführung des Sommer-Fahrplans wird diese Linie in Betrieb gesetzt werden.“ So berichtete eine Zeitung am 13.4.1882.

Am 3.6.1891 fand aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Eröffnung der Pferdeeisen­bahn nach Tegel eine Feier im Gesellschaftshaus „Zum Leydecker“ statt. Etwa 70 Perso­nen vergnügten sich bis 3 Uhr morgens.

kurbel

Die Berliner Straße in Tegel (Blickrichtung Schloßstraße) um 1905 mit einer „Kurbel“ der Berliner Straßenbahn aus der Zeit um 1924 (Fotomontage)

Eine Veranstaltung aus Anlass des 20. Jahrestages der Einweihung des Straßenbahnverkehrs nach Tegel war nicht vor-gesehen. Vielmehr erinnerte am 2.6.1901 ein folgenschwerer Zusam-menstoß zweier Straßen-bahnzüge auf fatale Weise zumindest indirekt an den vor zwei Jahrzehnten aufgenommenen Straßenbahnbetrieb. Was war an diesem Sonntag geschehen?

Unzählige Berliner verbrachten den Sommertag in der Umgebung der Großstadt. So hatten sich noch abends um 10 Uhr etwa 3000 Personen (!) an der Endhaltestelle der Straßenbahn in Tegel versammelt. Sie harrten ihrer Rückbeförderung nach Berlin und stürmten jeden einlaufenden Straßenbahnzug. An der Haltestelle stand bereits ein Motorwagen mit zwei angehängten Wagen, alle Sitzplätze waren besetzt. Der Straßenbahnzug war zur Abfahrt bereit. Ein zwischenzeitlich eingetroffener zweiter Zug (der Motorwagen hatte die Nr. 1827), ebenfalls mit zwei Anhängern, hatte schon umrangiert. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Straßenbahn damals noch nicht über die Hauptstraße (Alt-Tegel), Treskowstraße und Schlieperstraße wieder nach Berlin zurückfuhr. Der Führer des zweiten Wagens hatte gerade nach Erhalt des entsprechenden Signals den Stromhebel auf „mäßige Kraft“ gestellt, um in die Abfahrtsweiche hineinzufahren. In diesem Augenblick stürmte das wartende Publikum den Zug. Innerhalb weniger Sekunden standen auf der vorderen Plattform des Motorwagens 14 Personen. Der Wagenführer wurde zur Seite ge­stoßen und der Hebel des Stromgebers dadurch auf „Kraft 9“, also auf die größte Stromstärke geschaltet. Zwar war der Wagenführer bemüht, den Hebel wieder zurückzuziehen, doch sein Oberkörper wurde durch die drängelnden Menschen über die Wand der Plattform gedrückt. straßenbahnEr konnte die Bremsvorrichtung des Wagens nicht betätigen. Mit „unheimlicher Geschwindigkeit“ fuhr der Straßenbahnzug nun auf den vor ihm haltenden Zug „hinauf“. Nun erkannten auch die Fahrgäste die Gefahr und sprangen teilweise von der Plattform ab. Endlich gelang es auch dem Wagenführer, den Strom abzuschalten. Doch es war bereits zu spät. Mit „furchtbarer Gewalt“ erfolgte der Zusam­menstoß der ja insgesamt sechs Straßenbahnwagen. Beide Anhänger des vorderen Zu­ges wurden förmlich ineinander gedrängt, alle Wagen erheblich beschädigt.

Durch den Unfall wurden zehn Fahrgäste verletzt. Drei von ihnen, es waren Kaufleute, hat­ten schwere Verletzungen, zwei trugen Armbrüche und einer einen Hüftknochenbruch da­von. Sie wurden zum Paul-Gerhardt-Stift (Müllerstraße 72/73) gebracht. Sieben weitere Passagiere hatten sich durch Glassplitter verletzt.

Mörtelwerk

Täglicher Anzeiger für die Gemeinde Hermsdorf v. 28.7.1896

Im Januar 1896 meldeten Berliner Zeitungen, dass im Entwurf für den Preußischen Staatshaushalt eine erste Rate in Höhe von 1 500 000 Mark für den Bau eines Gefängnis­ses in Tegel eingestellt wurde. Drei geplante Gefängnisbauten für je 500 Gefangene sowie eine Reservebaracke für 150 – 160 Gefangene sollten das Stadtvoigteigefängnis am Mol­kenmarkt und die Gefängnisse in der Perle­berger Straße sowie in Rummelsburg erset­zen. Mit einer Fertigstellung bis zum Herbst 1898 wurde gerechnet. Im Juli 1896 began­nen dann auf dem vom Fiskus erworbenen „kolossalen“ Gelände westlich der Tegeler Chaussee (heutige Seidelstraße) nahe dem Artillerieschießplatz und der Schwarzen Brücke nach dem Fällen des Kiefernbestan­des die Ausschachtungsarbeiten. Baumate­rialien wurden mittels einer Schmalspurbahn von den am Tegeler See ankernden Kähnen zur Baustelle gebracht.

Im August 1897 waren acht Beamtenwohn­häuser im Rohbau fertig. Von dem „Empfangshaus“ mit Büros und einer Kirche in der Mitte der Wohnhäuser war bereits das Erdgeschoss zu erkennen, während auf dem „Hinterland“ von drei Zellentrakten mit Nebengebäuden ein Gebäude bis zum Dach und die beiden an­deren bis zum dritten Geschoss errichtet waren. Einige „Probezellen“, etwa 3 m lang, 2 ½ m breit und 4 m hoch mit einem 2 m über dem Fußboden liegenden Fenster konnten schon besichtigt werden.

Gefängnis

Das Tegeler Gefängnis mit den beiden Türmen der Anstaltskirche um 1904

Ab 1.10.1898 konnte das Gefängnis mit der Aufnahme von Gefangenen beginnen. Eine Unterbringung von bis zu 1620 Zellengefangenen sowie von bis zu 400 Gefangenen in den Barackengebäuden war möglich. In den drei Zellengebäuden hatten die Zellen unter­schiedliche Bodengrößen von 6 – 10 qm, je nach Haftdauer. Für den Transport der Gefan­genen vom Polizeipräsidium zum Gefängnis wurden anfangs eigens für diesen Zweck ge­baute fensterlose, grün gestrichene Pferdestraßenbahnwagen eingesetzt. Die Strecke vom Molkenmarkt nach Tegel wurde mit einem festen Zeitplan befahren, wobei auch ent­lassene Strafgefangene wieder so nach Berlin gebracht wurden. Die Direktion der Stra­ßenbahngesellschaft erhielt für die Benutzung der Straßenbahngleise eine geringe Ent­schädigung. Ab 1900 wurden die „Dicke Pauline“ genannten Straßenbahnanhänger durch Umstellung der Linie auf elektrischen Betrieb von einem Triebwagen der „Großen Berliner Straßenbahn“ befördert.

Blicken wir nun in das Jahr 1906, als im größten Gefängnis des Kontinents das Weih­nachtsfest begangen wurde. Die Kirche, durch geänderte Bauplanung erst im August 1899 eingeweiht, hatte einen schlichten Altar, darüber eine kleine Orgel mit 12 Registern aus der Werkstatt von Dinse. Einfache Wandmalereien und treffende Bibelsprüche, die – so ein Zeitungsartikel anlässlich der Einweihung – auf Augen und Gemüt wohlthuend wirkten, schmückten das Innere. Die malerische Ausstattung erfolgte unter der Leitung des Kir­chenmalers Krügermann (Schönebeck/Elbe) zum großen Teil durch Gefangene. 16 hohe Fenster mit farbiger Bleiverglasung gaben an hellen Tagen reichlich Licht. Beiderseits des Altars standen Weihnachten 1906 zwei hohe, schlanke Fichten. Weißes flimmerndes Licht der Weihnachtskerzen auf den Bäumen sowie die Beleuchtung durch die Gaskandelaber des Raumes fielen auf die bleichen Gesichter der Gottesdienstbesucher. 440 Sträflinge hatten sich eingefunden, in den terrassenartig angeordneten kleinen Zellen, die während des Gottesdienstes geschlossen wurden, Platz genommen. Das Blechschild mit seiner Nummer steckte jeder Häftling während des Gottesdienstes in die Rückwand des Platzes. Im Dunkel der Kastenzellen waren nur die Köpfe der Insassen zu sehen. Die hellblauen Sträflingsblusen tauchten erst auf, wenn sich ihre Träger mit den Worten des Anstalts­geistlichen erhoben.

postkarte gefängnisDer Prediger las aus der Bibel die Weihnachtsgeschichte vor, das Geläut der Weihnachts­glocken war zu hören, die altbekannten Weihnachtslieder wurden gesungen. In der zehnten Reihe des Raumes, fast in der Mitte, war ein charakteristischer grauer Kopf mit fahlem Antlitz und hohem blanken Schädel, der sich von den dunklen Köpfen seiner Nachbarn ab­zuheben schien. Es war Wilhelm Voigt, bis in die heutigen Tage besser bekannt als Hauptmann von Köpe­nick. Wenn Voigt den Kopf wendete, so wurde überliefert, blitzten seine Brillengläser. Doch nur selten und langsam bewegt sich in seinem fah­len Antlitz ein Muskel, die Augen in den tiefen Höhlen behielten meist ihren vorsichtigen, abwartenden Ausdruck. Der Geistliche von Rawitsch berichtete, dass der Schusterssohn aus Tilsit nie viel von Religion gehalten, vielmehr seine eigene Meinung von Gott und den Menschen hatte. Übrigens gingen bei der Anstaltsleitung für keinen soviel Weihnachtsgaben und -sendungen ein wie für Voigt. Doch das strenge Reglement der Anstalt ließ nicht zu, dass Voigt auch nur eine Gabe davon erhielt.

Während dessen predigte der Anstaltsgeistliche vom verlorenen Sohn und erwähnte ohne Salbung und Pathos auch die Angehörigen, die am Heiligen Abend 1906 den Gatten, Va­ter, Bruder oder Sohn schmerzlich unter dem Weihnachtsbaum vermissen würden. Unter einigen Zuhörern lebte eine rührende Bewegung auf, stilles Schluchzen schien hörbar, bärtige Männer in der ersten Reihe führten bunte Taschentücher zu den Augen, andere neigten den Kopf. Nur der alte Mann in der 10. Reihe, dessen Name alle Welt kannte, hatte weder Heim noch Familie. Er blätterte im Gesangbuch …

Nach dem letzten Lied griffen die Sträflinge ihre Blechmarken und verließen langsam die Zellen in der Kapelle. Einer löschte die Kerzen der Weihnachtsbäume. Aufseher zündeten die Gaslampen in den langen Fluren an. In den Zellen nahmen die Gefangenen ihr Abend­brot ein oder lasen. Immerhin gab es während der Festtage doppelte Lektüre und doppelte Rationen. Zudem konnte sich der Insasse für einen Teil seines Verdienstes das kaufen, was sein Herz begehrte – ausgenommen Spirituosen.

Plötzlich erbrauste vom Mittelpunkt des Flügelbaus aus ein vierstimmiger Chor. Die weihe­vollen Klänge von Beethovens „Hymne an die Nacht“ waren zu hören. Hier und da erscholl anschließend aus den Zellen kräftiger Applaus. Ein auf einer Kiste stehender freundlicher Gesanglehrer gab dann einer gut geschulten Sängerschaft in blauen Kitteln auf seiner Geige den Ton an, dem der Choral „Ehre sei Gott in der Höhe“ folgte. Abschließend ertön­ten dann noch die weichen Klänge „O du fröhliche“. Wohl jeder Insasse mag in seiner Zel­le dem frommen Lied gelauscht haben.

Derweil dämmerte draußen eine milchige Winterlandschaft, während am Rande der Heide Lichter blitzten.

Wilhelm Voigt verbrachten auch die Weihnachtszeit 1907 noch im Tegeler Gefängnis. 1908 reichte er ein Gnadengesuch ein. Dadurch erfolgte auf Grund einer Kabinettsorder des Kaisers seine Freilassung am 16.8.1908 um 15.45 Uhr. Voigt fuhr nach dem Verlassen des Tegeler Gefängnisses mit der Straßenbahn in das Stadtinne­re. Der Straßenbahnschaffner erkannte ihn sofort, so diskret sich der „Ex-Hauptmann“ auch verhielt.

Meine Lage ward durch die späteren Nachrichten weit schwieriger, als sie es bei meiner Abreise aus Kopenhagen war. Wir wissen jetzt die Franzosen nicht allein in Wien; wir haben auch schon Nachricht, daß Napoleon einen großen Sieg in Mähren erfochten hat.

Eggers

Christian Ulrich Detlev von Eggers

Mit diesen Zeilen begann „C. U. D. Freyherr von Eggers, Oberprocureur der Herzogthümer Schleßwig und Holstein, Ritter vom Dannebrog“, am 14. Dezember 1805 in Berlin einen Brief, den er später, 1810, in sein Buch „Reise durch Franken, Baiern, Oesterreich, Preußen und Sachsen“ mit aufnahm.

Doch wer war C. U. D. von Eggers? Christian Ulrich Detlev von Eggers wurde am 11.5.1758 in Itzehoe bei Hamburg geboren. Er studierte an den Universitäten in Kiel, Leipzig, Halle und Göttingen Rechts- und Staatswissenschaften. Später wurde er Professor der Kameralien (Staatswissenschaft) und der Rechte, zudem in Schleswig-Holstein Oberprokurator. 1806 wurde er in den Freiherrrnstand erhoben. Reichsfreiherr von Eggers starb am 21.11.1813 in Kiel.

In dem oben angegebenen Brief berichtete von Eggers über eine Reise, die ihn auf der „gewöhnlichen“ Poststraße über Lenzen und Perleberg nach Berlin führte. Es würde an dieser Stelle zu weit gehen, den gesamten Reiseverlauf zu schildern. Vielmehr soll hier nur die letzte Etappe des Weges beschrieben werden. So lesen wir unter Verwendung der damaligen Rechtschreibung:
Bützow  (heute Bötzow) ist ein großes Kirchdorf in einer unfruchtbaren Gegend, die nur der Nähe der Hauptstadt ihre Kultur verdankt. Man rieth uns zu übernachten, weil der Weg sehr schlecht wäre. Wirklich fanden wir am andern Morgen, dass wir sehr wohl gethan hatten.

Meilenstein+

Im Bildhintergrund links der Tegeler Meilenstein aus der Zeit um 1730, den 1805 auch von Eggers passierte.

Hinter Bützow kommt wieder ein böser Damm. Sand und Tannenholz dauern fast bis Berlin. Bei Henningsdorf ¾ Meilen geht es über die Havel. Nahe dabei ist ein Land- und Brückenzoll (gemeint ist Neubrück). Schulzendorf, 2 Meilen von Berlin, bleibt etwas seitwärts liegen. Eine halbe Meile weiter kommt man zu dem neuen Krug oder Tegel-Krug (heute Restaurant Alter Fritz). Das Dorf Tegel oder Tengel liegt am Tegelschen See, mit welchem die Havel in Verbindung steht. Hier ist das Vorwerk, Schlößchen zum Tengel genannt, ein Forsthaus, Wasser- und Schneidemühle. In diesem Forstrevier hat der Ober-Forstmeister und Forstrath von Burgsdorf seit 1779 die berühmten Anlagen zum Anbau einheimischer und fremder, besonders nordamerikanischer, Holzarten gemacht, die er uns so lehrreich nachher beschrieb. Die Anstalt ist in dem treflichsten Gedeihen. Sie zählt schon über 600 verschiedene Arten. Viele fremde, sonst seltene Holzarten, vorzüglich brauchbar zur künstlichen Verarbeitung, sind schon in bedeutender Menge verpflanzt. Sie werden immer noch vorzüglich zum Holzbau der Forsten und zur Verschönerung des Königlichen Thiergartens angewandt.

Eine Meile von Berlin kömmt man zu dem Chausseehause (heute wäre dies Ende der Seidelstr. / Beginn der Scharnweberstr.); nun rollt man schnell in die Stadt, und findet es, nach dem zurückgelegten bösen Wege ganz billig, daß die letzte Meile, unter der Rubrik  p o s t e  r o y a l e  doppelt bezahlt wird (gemeint war das Chausseegeld). Eine halbe Stunde vor der Stadt liegt an der Panke, ein Vorwerk und Schäferei Wedding genannt. Dieser kleine Fluß entspringt bei Bernau, einer alten Stadt 3 Meilen von Berlin an der Poststraße nach Stettin, und fällt in Berlin auf dem Schiffbauerdamm in die Spree. Längs dem Flusse sind noch einige Kolonisten-Wohnungen, b e i m  W e d d i n g  genannt.

Bei der Visitation am Thor machte man uns nicht die geringste Schwierigkeit. Der Visiteur sagte mir sehr höflich, er könne mich nicht davon dispensiren (befreien), alle verschlossenen Behältnisse zu öffnen; aber dabei ließ er es auch bewenden. „Wir wissen schon, sagte er, wo wir die Contrebande suchen sollen, wenn es darauf ankömmt. Andere verschonen wir gerne mit dem beschwerlichen unnützen Durchsuchen.“ Also brauchen die Preussischen Zollbedienten Conduite (Führung, Betragen), wie die Oesterreichischen Mauthbeamten.

Soweit Freiherr von Eggers Schilderung einer Reise, die ihn 1805 auch zu einem ausführlichen Bericht über Tegel veranlasste. Interessant ist die Erwähnung von Tengel bzw. Schlößchen zum Tengel. Tegel hatte zwar im Verlauf der Geschichte viele Schreibweisen seines Ortsnamens, doch diese gab selbst August Wietholz, Chronist des Ortes, in seiner Urkundensammlung wohl nicht an.

Gerhard Völzmann

„Tegel, Dorf 1 ½ Meilen von Berlin, im Niederbarnimschen Kreise, an der Landstraße nach Hamburg, mit 22 Feuerstellen und 124 Menschen. In dem hiesigen Forstreviere sind sehr viele fremde Holzarten von dem bekannten Forstrathe von Burgsdorf angelegt worden. Dabey ist ein Landhaus, das Schlößchen genannt, mit 7 Feuerstellen und 95 Menschen“.

Bereits vier Jahre nach seinem Tod fand der Name von Burgsdorf Aufnahme in ein Berlin-Lexikon der Gebrüder Gädicke aus dem Jahre 1806. In heutiger Zeit ist der einstige Geheimrat und Oberforstmeister wohl selbst an einer Stätte seines Wirkens, in Tegel, kaum noch bekannt. Allerdings erinnern im Jagen 92 (nahe Mühlenweg) des Tegeler Forstes der höchste Baum Berlins, eine Lärche, sowie am Schwarzen Weg in Höhe der Halbinsel Reiherwerder ein Findling mit Inschrift an Friedrich August Ludwig von Burgsdorf. Der Lebensweg des Mannes, der erheblich zur Entwicklung der Forstwirtschaft in Preußen beitrug, soll in diesem Beitrag beschrieben werden.

Von Burgsdorf erblickte am 23.3.1747 in Leipzig das Licht der Welt. Sein Vater Gottlieb war Oberjägermeister zu Altenburg und besaß mehrere Rittergüter. Er starb bereits, als der Sohn gerade 7 Jahre alt war. Zur besseren Erziehung des Kindes zog die Mutter daraufhin nach Gotha. Friedrich August Ludwig war bereits von der Geburt an als Domherr in Naumburg bestimmt und eingeschrieben, sollte daher studieren und auf Reisen gehen. Doch während des 7-jährigen Krieges trat der Jugendliche mit 14 Jahren in französische Kriegsdienste, zeichnete sich hier aus, wurde aber verwundet und zurückgerufen. Drei Jahre Schulausbildung sollten nun künftige Studien vorbereiten. Doch von Burgsdorf floh zu seiner Schwester. Unter Verzicht auf den Domherrn verschrieb er sich dem Studieren und Jagen. Nun ging die Mutter auf das Denken des Sohnes ein und vermittelte ihm ab 1.2.1762 in Georgenthal/Thüringer Wald beim Förster Schramm eine Lehre in der Forst- und Jagdkunde. Gründliche und praktische Kenntnisse wurden durch Forstgeometrie und Naturgeschichte vervollständigt.

BurgsdorfIm April 1764 erkrankte von Burgsdorf an den Pocken. Im Winter dieses Jahres trat er am Hof zu Gotha einen Pagendienst an und wurde bald ältester Jagd- und Leibpage. Doch 1767 wurde ein anderer Page befördert. Der junge von Burgsdorf war verstimmt, nahm unbestimmten Urlaub und trat Reisen ins Ausland an. Wieder zurückgekehrt, erwarb er das Patent eines Gothaischen Hof- und Jagdjunkers. Bei einem Aufenthalt in Küstrin lernte er Friederike Sophie Grünrade kennen, mit der er sich verlobte. Doch noch immer fehlte eine Anstellung im Staatsdienst. So wandte sich von Burgsdorf unmittelbar an König Friedrich II., der ihn an den Obristen von Anhalt verwies. Dieser stellte seine vorzüglichen Kenntnisse fest und empfahl eine Anstellung bei Vakanz einer Stelle. Immer wieder wurden Bewerbungen abschlägig beschieden, weil zunächst freie Stellen bereits besetzt waren.

Am 25.6.1773 heiratete von Burgsdorf und erwarb das Gut Schaumburg/Oder. Später machte ihn sein Freund, der Kammerherr von Humboldt zu Gut Tegel aufmerksam, dass ein begüterter invalider Hauptmann von Ziegenhorn die Mittel- und Uckermärkische Forstratsstelle „mit nicht geringer Last“ bekleidet. Mit diesem wurde sich von Burgsdorf einig, gegen einen Abstand von 3500 Talern und Zusicherung einer jährlichen Pension von 500 Talern den Posten ab Winter 1777/78 zu übernehmen. Seine Majestät der König gewährte hierfür sogar Chargen- und Stempelgebührenfreiheit.

Nach fast 9 Jahren hatte von Burgsdorf sich damit eine Anstellung sowohl als Forstrat und Rechnungsführer von 14 Mittel- und Uckermärkischen Forstämtern wie auch als Oberförster des Heiligenseeschen Reviers, Forstamt Mühlenbeck, teuer erkauft.

Von Burgsdorf, jetzt in der Oberförsterei im Dorf Tegel wohnend, verkaufte der Entfernung wegen sein Gut Schaumburg. In Tegel legte er eine Nadelholzsamen-Darre an und ersann Hilfsmittel zur Bestimmung von Höhe und Stärke von Nutz- und Bauhölzern. Sein Handeln und seine Aufsätze machten ihn bekannter, so dass er am 11.6.1782 von der Gesellschaft Naturforschender Freunde als Mitglied aufgenommen wurde.

Mit Beifall wurde 1783 der erste Teil des „Versuchs einer vollständigen Geschichte vorzüglicher Holzarten“ mit 27 Kupferstichen aufgenommen. Die Zeichnungen hatte von Burgsdorf selbst gefertigt. Der Herausgabe folgte sogleich ein Auftrag, „übelbewirtschaftete“ Wälder der Kurmark zu bereisen und Abhilfe vorzuschlagen. Die Anschlagsumme von 458000 Talern bewilligte König Friedrich sofort.

Burgsdorf2Im Tegeler Forst hatte von Burgsdorf 1784-86 ein Lärchen-Kamp angelegt. Ein Magdeburger Morgen (ca. 2552 m2) kostete im Anbau über 30 Taler. Auch Eichen, Rüstern und Akazien wurden am Tegeler See und an der Straße nach Hamburg gepflanzt. Zudem gab von Burgsdorf jungen Forstleuten jeden Standes unentgeltlich Unterricht. Am 31.8.1784 starb kurz nach der Geburt des achten Kindes die Ehefrau. Am 19.1.1785 heiratete er die Schwägerin.

In den Folgejahren wurde von Burgsdorf durch Mitgliedschaft in weiteren Gesellschaften und Sozietäten geehrt. Der damalige Kronprinz, überzeugt von der Unwissenheit der im Jagd- und Forstwesen Tätigen, beauftragte den Obristen von Stein sowie von Burgsdorf, einen Plan für eine Forstakademie zu entwerfen. Tegel war zum Sitz und von Burgsdorf als Direktor der Anstalt vorgesehen. 1786 wurde dann zu Tegel bei Berlin „mit Königl. Vorbewußt und Genehmigung“ ein Holzsamen-Institut eingerichtet. En gros und en detail wurden nordamerikanische Holzsamen unter „richtigster“ Benennung sowie alle deutschen Forst- und Fruchtbaumsamen geliefert.

So kosteten „á Pfund 16 Gr. in Louis d´or zu 5 Rthlr.“ z. B. die schwarze runde Wallnuss oder die „virginische“ Traubenkirsche. Billiger war mit „á Pfund 1 Rthlr. 8 Gr. zuzüglich Fracht ab Tegel der rotblühende Ahorn.

Fast berühmt wurden „einförmige Holzsamenkisten“ mit 100 Sorten Inhalt. Sie kosteten 2 ½ Louis d´or. Ein dankbarer Käufer berichtete am 7.5.1787 im Hannoverischen Magazin, dass er bereits am 3.4. d. J. die Kiste erhielt mit „achtzigerlei Saamen und zwanzigerlei Stecklinge von Sorten, die sich durch Saamen nicht leicht fortpflanzen lassen“. Die Stecklinge blieben durch angefeuchtetes Moos frisch. Den Kisten wurden noch gratis Anleitungen zur sicheren „Erziehung“ und zweckmäßigen Anpflanzung der Holzarten beigefügt. In Nordamerika war extra ein „Sammlungs- und Speditionskomtoir mit den nöthigen Offizianten und geschickten Gehülfen“ eingerichtet. 1787 hatte von Burgsdorf in diesem Zusammenhang auf eigene Kosten den von ihm unterrichteten Jäger Rommels aus dem Gothaischen nach Nordamerika geschickt.

LärcheIndes wurde von Burgsdorf nach dem Tod Friedrichs II. Ende 1786 zwar Geheimer Forstrat, doch Graf von Arnim hintertrieb die Einrichtung einer Forstakademie in Tegel.
Auf speziellen Befehl verfasste von Burgsdorf ein Forsthandbuch, ein „Allgemeiner theoretisch-praktischer Lehrbegriff sämtlicher Försterwissenschaften; auf Seiner Königlichen Majestät von Preussen allerhöchsten Befehl“. Es war „Den Allerdurchlauchtigsten, Durchlauchtigsten auch Hochwürdigsten und Erlauchten Regenten des Deutschen Reiches; den Vätern des Vaterlandes zugeeignet: und Ihren Finanz-Direktionen gewidmet von einem deutschen Manne, vom Verfasser“. Das Buch diente den Forstbediensteten als Leitfaden; sie wurden nun durch von Burgsdorf selbst unterrichtet. Dafür erhielt er jährlich 500 Taler zusätzlich.

Ab 1.10.1789 wurde von Burgsdorf zum Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin berufen. Er erhielt ein Gehalt, das schon bald erhöht wurde, sowie nun auch die Anwartschaft auf die Stelle seines ihm bisher vorgesetzten Oberforstmeisters von Schönfeld zugesprochen. Jetzt arbeitete er 4 Tage in Berlin, so dass er ganz dort wohnte. Die Oberförstergeschäfte  und die Baumzucht in Tegel erledigte fortan einer seiner Zöglinge.

Am 3.10.1791 beschenkte ihn Seine Majestät mit der evangelischen Präbende (lateinisch; Pfründe) im hohen Domkapitel zu Minden mit der Erlaubnis, diese „zu resigniren“ (aufzugeben). Dies tat von Burgsdorf, durfte aber den erhaltenen Orden weiter tragen. Eine besondere Ehre war es, als er am 5.1.1792 zum Mitglied der Königlich Preuß. Märkische ökonomische Societät zu Potsdam ernannt wurde. Nun wurde von Burgsdorf auch zum Oberforstmeister befördert. Freilich verlor er dadurch, solange sein Vorgänger von Schönfeld lebte, jährlich über 1600 Taler bei gleichzeitig mehr Arbeitsaufkommen. 1796 erschien der zweite Teil seines Forsthandbuches.

Am 14.3.1795 berichtete von Burgsdorf über eine 1783 in Tegel angelegte Akazien-Anlage folgendes:

Im Jahre 1783 machte ich eine Pflanzung von Acacien-Bäumen in den Tegelschen Forst. Die Stämme waren in dem untern Theile der Saamenschule aus Saamen erzogen, der im Frühling 1781 nach meiner Anleitung etc. gesäet worden ist.
Die mittlere Dicke der Stämme ist jetzt (1795) acht Pariser Zoll im Durchmesser, und die Höhe achtzehn bis ein und zwanzig Fuß. Der Boden ist sandig mit Dammerde, mehr trocken als frisch. Sie stehen in der Ebene gegen Norden, und haben Schutz von West, Südwest. Diese Stämme treiben in der Saamenschule im ersten Jahre bis auf vierzehn Fuß hoch. Der Winter 1781-1782 reduzirte sie auf 6 Fuß, und sie wurden im Frühling 1783, wie oben schon gesagt, von sieben bis acht Fuß hoch ausgepflanzet. Seit der Zeit haben sie nichts vom Froste gelitten. Die Rothhirsche haben viel abgeschlagen. Diese sind kurz über der Erde abgehauen worden, und schlugen gut aus. Der starke Wildprettstand hat sie aber nicht aufkommen lassen.
Ich besitze einen Bureau von Acacienholz. Es hat die Härte und Textur des Mahagonyholzes, eine dunkel goldgelbe Farbe und seidenhaften Glanz.

Forstgebäude

Als es 1797 in der Tegeler Oberförsterei spukte, rief von Burgsdorf die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin zur Klärung des Ereignisses. Die Abbildung zeigt das nach 1806 neu errichtete Forstgebäude.

Im Jahre 1800 verdrängte von Burgsdorf gesundheitliche Warnzeichen wie Schwindelanfälle und „beständiges Sausen“ im Kopf. Arzneimittel wollte er nicht einnehmen wie auch auf berufliche Einschränkungen nicht eingehen. Am 15.1.1801 erlitt er einen Schlaganfall, war linksseitig ganz gelähmt und zunächst bewusstlos. Seinem Hausarzt verdankte er eine Besserung, dass er mit Hilfe eines Stockes wieder laufen konnte. Doch am 14.6.1802 stellte sich Fieber ein. Am 18.6.1802 verstarb Friedrich August Ludwig von Burgsdorf im Alter von nur 55 Jahren.

Bis in die heutige Zeit ist sein Wirken im Tegeler Forst z. B. durch sehr alte kräftige Buchenbestände zu erkennen. Vielleicht gibt es ja auch in den Parks von Charlottenburg und Sanssouci noch Bäume, die einst aus Tegel kamen.

Gerhard Völzmann
Mitglied des Förderkreises für Bildung, Kultur
und internationale Beziehungen Reinickendorf e.V.

Das einstige Gaswerk der Gemeinde Tegel (Gaswerk Tegel AG) ist nicht mit dem Werk Tegel der Berliner Städtischen Gaswerke AG zu verwechseln. Das erstgenannte Werk befand sich in der Gaswerkstraße 4 – 5 (heutige Ernststraße), während die Städtischen Werke unter der Anschrift Berliner Straße 48 – 60 zu erreichen waren.

Doch zunächst ein Rückblick auf die Tegeler Straßenbeleuchtung bis zum Jahre 1896. Dem Niederbarnimer Kreisblatt v. 20.9.1876 war zu entnehmen, dass in Tegel „vor Kurzem“ eine Straßenbeleuchtung eingerichtet wurde. Es war eine Petroleumbeleuchtung. Die Laternenmaste waren aus Holz. Die Zahl Laternen wurde vom Herbst 1889 bis Mitte Okt. 1890 um 25 Stück vermehrt. Zur Unterhaltung der Beleuchtung wurden in erster Linie die Einnahmen aus der Hundesteuer verwendet.

Zum Leidwesen der Gemeindeverwaltung wie auch der Einwohner wurden die Laternen immer wieder beschädigt. So berichtete die neue Vorort-Zeitung am 18.8.1894:

Tegel. Am letzten Montag tagte hier die Gemeinde-Vertretung und wurde beschlos-sen, dem Unternehmer Karl Franke aus Bremen die Konzession zur Erbauung und zum Betriebe eines Gaswerkes für Tegel zu ertheilen. Mit dem Bau, zu dem der poli-zeiliche Konsenz nachgesucht ist, soll baldigst begonnen werden, sodaß das Gas-werk schon zum nächsten Winter in Betrieb gesetzt werden kann.

 Am 3.3.1896 teilte der Tägliche Anzeiger für die Gemeinde Hermsdorf seinen Lesern folgendes mit:

Tegel. Am letzten Montag tagte hier die Gemeinde-Vertretung und wurde beschlossen, dem Unternehmer Karl Franke aus Bremen die Konzession zur Erbauung und zum Betriebe eines Gaswerkes für Tegel zu ertheilen. Mit dem Bau, zu dem der polizeiliche Konsenz nachgesucht ist, soll baldigst begonnen werden, sodaß das Gaswerk schon zum nächsten Winter in Betrieb gesetzt werden kann.

Am 14.4.1896 berichtete die Zeitung, dass die Gasanstalt bereits im Bau sei und zum 1.9. d. J. in Betrieb gesetzt werden soll. Der Bauplatz lag nordöstlich der Chaussee (Berliner Straße) dicht neben der neuen Borsigschen Fabrikanlage.

Der Errichtung des Gaswerkes lag ein Vertrag zu Grunde, der am 13.3.1896 zwischen dem Bremer Carl Francke und dem Gemeinde-Vorstand Tegel abgeschlossen wurde. Der Kreis-Ausschuss des Kreises Nieder-Barnim hatte ihn am 12.3.1896 den Beschlüssen der Gemeinde-Vertretung Tegel v. 24.2. und 10.3.1896 entsprechend genehmigt. Es lohnt sich, den Vertrag einmal näher anzusehen.

Danach übernahm Francke die Herstellung und den Betrieb einer Steinkohlengasanstalt nebst Straßenrohrnetz mit Laternen auf eigene Rechnung. Öffentliche Gebäude und Privatwohnungen waren mit Gas zu versorgen. Gas-Zuleitungen mussten bis 3 m hinter der Baufluchtlinie hergestellt werden.

Der Vertrag hatte eine Laufzeit von 25 Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der öffentlichen Beleuchtung. Der Unternehmer verpflichtete sich, bis zum 1.4.1897 die Anlage zu vollenden und die vorgesehenen Straßen und Plätze mit Gas zu beleuchten. Für das Rohrleitungssystem mussten eiserne Röhren verwendet werden.

§ 7 Abs. 2 des Vertrages lautete: Wenn infolge eines Straßenauflaufes oder Tumultes Beschädigungen der öffentlichen Beleuchtungskörper vorkommen, soll die Gemeinde nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zum Ersatz der Wiederherstellungskosten verpflichtet sein“.

Als durchschnittliche Brennzeit jeder öffentlichen Laterne wurden 1500 Brennstunden festgelegt. Mindestens 200 Straßenlaternen waren geplant. Weniger als 2 Brennstunden je Laterne und Tag durften nicht verlangt werden.

Laternen brannten damals nicht etwa vom Eintritt der Dämmerung bis zum Morgengrauen. Vielmehr richtete sich die Brennzeit im Wesentlichen nach einem jährlich zu erlassenden Brennkalender. Hierin wurden die Brennstunden, die „mit Sicherheit“ bestimmbar waren, eingetragen. Der Gemeinde-Vertretung war es freigestellt, Änderungen vorzunehmen. So konnte durchaus auch eine regelmäßige Nachtbeleuchtung einer beschränkten Anzahl von Laternen bestimmt werden, die dann von 11 Uhr abends bis zum Tagwerden leuchteten.

Sämtliche Laternen mussten vertraglich spätestens 30 Minuten nach der vereinbarten Zeit angezündet sein. Anderenfalls musste Unternehmer Francke eine Konventionalstrafe von 10 Pf. pro Laterne zahlen. Ausnahmen galten nur bei mutwilliger Beschädigung, heftigem Sturm, Regen, Frost oder Schneetreiben, also bei Erschwernissen für den Laternenanzünder.

Zur Straßenbeleuchtung sollte nur Gasglühlicht von mindestens 30 Kerzen Stärke verwendet werden. Zudem sollte die Leuchtkraft des Gases bei 140 Liter Konsum im Argandbrenner1  pro Stunde gleich der Leuchtkraft von 14 Normalkerzen sein. Sollte der Unternehmer die Lichtstärke nicht erreichen, musste er ohne zusätzliche Vergütung die Gasmenge erhöhen.

Die bei der Fabrikation des Gases gewonnenen übelriechenden Produkte sind so aufzubewahren, dass sie der Umgebung weder schädlich noch lästig werden“, lautete § 15 a. a. O.

Natürlich war auch geregelt, welche Beträge Francke für seine Leistungen erhielt: 25 Mark waren für je 1000 Brennstunden einer Straßenlaterne zu zahlen. Ein Mehrverbrauch wurde entsprechend vergütet. 4 Pf. pro Brennstunde und Flamme fielen an, wenn einzelne Laternen außerhalb der üblichen Brennstunden betrieben wurden.

Für Privatpersonen sollte Leuchtgas nicht über 18 Pf. je Kubikmeter kosten, für Motoren, Heiz- und Kochgas nicht über 12 Pf. Dem Unternehmen war eine Anpassung des Privatgaspreises um 2 Pf. pro m3 zugestanden, wenn die Preise für „gu- te Gaskohlen“ den Normalsatz von 200 Mark pro 10 000 Kilo franko Gaswerk um ein Fünftel übersteigen sollten.

Carl Francke wurde vertraglich zugesichert, dass keinem anderen Unternehmen die Befugnis des Gasverkaufs erteilt werde. Dritte durften weder unter- noch oberirdisch Leitungen für Elektrizität legen und für eine Erleuchtung nutzen.

Nach Ablauf des Vertrages war die Gemeinde Tegel befugt, diesen um jeweils 10 Jahre zu verlängern, musste dies aber 2 Jahre vorher kundtun. Im Falle einer Abstandnahme hiervon seitens der Gemeinde musste diese das Werk zur Hälfte des Tax- und Geschäftswertes kaufen.

Die Kaution, die Francke zur Erfüllung seiner Verpflichtungen hinterlegen musste, betrug 10 000 Mark.

Wohl mit Bedacht stand im Vertrag abschließend: Sollte zum Betriebe des Gaswerks eine Aktiengesellschaft gebildet werden, dann behält sich die Gemeinde Tegel das Recht der Teilnahme an der Verwaltung der Aktiengesellschaft vor; ihr sind zu diesem Zwecke mindestens zweitausend Mark Aktien zum Nominalwert zuzuweisen und ein Vertreter der Gemeinde Tegel muß dem Aufsichtsrat mit Sitz und Stimme angehören.“

Zeitungsanzeige v. 25.2.1899

Tatsächlich trat Francke bereits am 24.4.1896 seine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag an die Aktiengesellschaft Gaswerk Tegel ab.

Die Gasbereitungs- und Gasbewahranstalt wurde laut Verhandlung vom 13.11.1896 als errichtet und dem Betrieb übergeben festgestellt. Die Gasleitungsröhren waren gelegt, die Laternen aufgestellt. Die öffentliche Gasbeleuchtung in den Straßen Tegels begann also am 13.11.1896, der Vertrag v. 13.3.1896 bekam danach Gültigkeit bis zum 13.11.1921. In der Verhandlung wurde auch festgestellt, dass die Zahl der Straßenlaternen noch zu mehren sei, zudem waren noch einige Leitungen erforderlich.

In der Folgezeit dehnte die Gaswerk Tegel AG ihre Gaslieferungen aus. So wurden

  • Wittenau und Borsigwalde ab Oktober 1900,

  • Waidmannslust ab Juli 1901,

  • Hermsdorf ab August 1901 und

  • Lübars ab Oktober 1905

mit Gas aus Tegel versorgt.

Im Jahre 1902 kam es vor dem Berliner Schöffengericht zu einem Verfahren wegen Diebstahls. Angeklagt waren der Gastwirt und Gemeindevertreter F. Kulina aus der Egellsstraße und der bei der Gaswerk Tegel AG tätige Arbeiter Müller. Was war der Grund? Im letzten Winter wurde in Tegel längere Zeit über eine ungenügende Straßenbeleuchtung gesprochen. Es wurde gemunkelt, dass das Gaswerk die Düsen in den Laternen verengt habe, damit der Gasverbrauch abnehmen würde. Als Gemeindevertreter wollte Kulina den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchtes überprüfen. Durch Müller ließ sich Kulina einige Düsen alter und neuer Konstruktion besorgen, die er dann dem Haus- und Grundbesitzerverein vorlegte. Tatsächlich zeigte sich, dass das Gaswerk hier eine „Sparsamkeit“ entwickelt hatte. Der bei der Sitzung anwesende Gendarm erstattete dem Amtsvorsteher Bericht über diesen Sachverhalt mit der Folge, dass gegen Müller Anklage wegen Diebstahls und gegen Kulina gleiches wegen Verleitung zum Diebstahl erhoben wurde. Das Schöffengericht sprach zwar beide Angeklagte frei, doch der Arbeiter Müller wurde vom Gaswerk sofort entlassen.

Der Prozeß zeigt, wie vor den Thoren Berlins Gemeindeverordnete behandelt werden, die Interesse für kommunale Fragen bekunden. So das Fazit damaliger Zeit zu diesem Vorgang.

Plan 1910

Das Tegeler Gaswerk verfügte im Jahre 1905 vor Beginn der Gaslieferung nach Lübars über ein Gesamtrohrnetz von 66,97 km Länge und produzierte über eine Million Kubikmeter Gas. In Hermsdorf, das ein Rohrnetz von 17,35 km Länge hatte, gab es am 1.4.1905 312 Gasabnehmer mit 577 Gasmessern. Hier wurden 91598 m3 Leuchtgas, 82934 m3 Heizgas und 26108 m3 Gas für die Straßenbeleuchtung verbraucht. Der Ort hatte 126 – 134 Laternen mit 187205 Stunden Brenndauer in Betrieb. Der Gesamtverbrauch von 200640 m3 Gas bedeutete für das Tegeler Gaswerk 16 Prozent der Gesamtabgabe an Gas.

Dalldorf mit Borsigwalde stand dem größeren Hermsdorf nicht viel nach. Hier war das Rohrnetz sogar 19,26 km lang. Der Verbrauch lag bei 72688 Kubikmeter Leuchtgas, 41814 m3 Heizgas und 34963 m3 Gas für die Straßenbeleuchtung. Es gab 203 Gasabnehmer und 302 Gasmesser. 190 – 204 Laternen brannten an 244337 Stunden. Mit dem Gesamtverbrauch von 149465 m3 Gas in Dalldorf und Borsigwalde erzielte das Gaswerk in Tegel eine Abgabe von 11.8 Prozent seiner Gesamtmenge.

Die genannten Zahlen bedeuteten eine große Steigerung des Gaskonsums und machten eine Vergrößerung des Werkes erforderlich. 1905 wurde mit der Erweiterung begonnen, die zu einer Verdoppelung der Leistungsfähigkeit führte.

Im gleichen Jahr wurden die zwischen der Tegeler Gemeindevertretung und dem Gaswerk entstandenen Differenzen durch einen Vergleich beigelegt. Es ging um die Höhe des Gaspreises. Die Gasanstalt hatte sich vertraglich verpflichtet, den Preis für Leuchtgas von 17 auf 16 und den für Kochgas von 11 auf 10 Pfennig herabzusetzen, sobald der Gesamtumsatz 1 Million m3 Gas beträgt. Durch Anschluss von Nachbargemeinden wurde die Umsatzhöhe erreicht, diesen Orten auch der ermäßigte Gaspreis eingeräumt. Tegel erhielt diesen Preis jedoch nicht. Es hieß, die Gemeinde müsste allein die Grenze von 1 Million m3 erreichen. Der Vertrag ließ hierüber Zweifel offen. So kam es zu dem Vergleich, den ermäßigten Preis (erst) zum 1.4.1906 einzuführen. Im April 1907 hätte Tegel wohl allein die Umsatzhöhe erreicht.

Am 15.10.1907 endete die Gasversorgung Hermsdorfs durch das Tegeler Gaswerk. Die dortige Gemeinde nahm nämlich am Folgetag ihr selbst errichtetes Gaswerk in Betrieb. Für die Hermsdorfer verbilligte sich dadurch der Gaspreis. Bisher kostete das Leuchtgas der Tegeler Gasanstalt 15 Pfennig und das Kochgas 10 Pfennig pro Kubikmeter, während das Hermsdorfer Werk für Leucht- und Kochgas einheitlich 13 Pfennig pro Kubikmeter berechnete.

Adressbuch 1905

1908 verzeichnete das Tegeler Gaswerk eine nicht so günstige Entwicklung, wie dies noch im Vorjahr der Fall war. Die Zahl an weiteren Konsumenten wie auch die der Gasabgabe hatte merklich nachgelassen. Das lag an der geringen Bautätigkeit, der „flauen“ Geschäftslage und der Sparsamkeit der Verbraucher. Die „kleinen Leute“ vermieden Ausgaben, die nicht unbedingt nötig waren.

Allerdings hielt sich der Gasverbrauch auf der Höhe des Jahres 1907, die Industrie verbrauchte sogar mehr. Der Kokspreis lag unter dem des Vorjahres; Teer hatte einen niedrigen Preis und war schwer zu verkaufen. Lebhaft verlangt wurde hingegen zu einem annehmbaren Preis verdichtetes Ammoniakwasser. Der Kohlenpreis war recht hoch. Insgesamt bezeichnete die Gaswerk Tegel AG das Geschäftsjahr 1908 als befriedigend.

Eine gewaltige Explosion ereignete sich am 2.10.1911 gegen 5 Uhr in der Frühe. Im Maschinenhaus der Gasanstalt, das mit dem zur Reinigung des Gases dienenden Apparateraum in direkter Verbindung stand, verrichten der 38-jährige Maschinenwärter Adolf Reuß (verheiratet und Familienvater) und die beider Heizer Schubert und Prochnow ihre Arbeit. Gerade hatten die Heizer sich zu einer Pause in den nebenan liegenden Arbeitsraum begeben, als sich im Maschinenhaus eine gewaltige Explosion ereignete. Die weithin hörbare Detonation löste bei der Tegeler Feuerwehr und den Wehren des Borsigwerkes und denen der umliegenden Ortschaften Alarm aus. Als die Feuerwehren in der Gaswerkstraße eintrafen, stand das Maschinenhaus in Flammen. Die fast 20 m lange Gebäudewand zur Straßenseite hin war eingestürzt. Der Maschinenwärter Reuß lag besinnungslos und schwer verletzt auf der Straße. Der Luftdruck hatte ihn zusammen mit den Trümmermassen über einen Drahtzaun hinweg mitten auf die Straße geschleudert. Sein Unterschenkel war gebrochen, Gesicht und Hände schwer verbrannt, wie sich später herausstellte. Rettungsmannschaften brachten ihn zum Paul-Gerhardt-Stift in der Müllerstraße.

Die beiden Heizer im Nachbarraum des Maschinenhauses wurde durch die Steine der eingestürzten Trennungswand begraben. Sie konnten sich aber selbst befreien und kamen mit leichten Quetschwunden und Kontuflouen davon.

Die Feuerwehrleute bekämpften die Flammen, die auch bereits in der Nähe aufgestapelte Kohlen erfasst hatten. Es bestand zudem die Gefahr, dass die Gasbehälter explodierten. Ursache war, dass aus einem kleinen Hahn des Gasreinigers fortgesetzt Gas ausströmte und sich zu einer Stichflamme entzündete. Der Reinigungsbehälter war bereits eingebeult. Drei mutige Feuerwehrleute, unter ihnen Brandinspektor Gläser, der damalige Leiter derFeuerwehr der Fa. Borsig, kletterten über den Reiniger auf das Dach und kühlten dort, großer Hitze ausgesetzt, durch einen Wasserstrahl die angegriffene Stelle des Behälter-Mantels. Sie konnten eine Explosion verhindern.

Schlimm sah es in der Maschinenhalle aus. Maschinen-Saugapparate, Motoren, Exhauster waren stark beschädigt; der Betrieb musste eingestellt werden. Fensterscheiben der Maschinenhalle und der umliegenden Gebäude waren zersplittert. Merkwürdig war der Verlauf der Explosion. Maschinenhäuser in Gasanstalten tragen nämlich nur leichte Holzdächer, damit im Falle einer Explosion die Gase einen Ausweg finden und nur geringe Massen herabstürzen. Hier erfolgte die Explosion aber in seitlicher Richtung. Das Dach blieb unbeschädigt.

Für den Abend und die Nacht wurden in Tegel wie in den mitversorgten Ortschaften durch verringerte Gaszufuhren Einschränkungen bis hin zur Straßenbeleuchtung befürchtet. Dies geschah jedoch nicht, weil das Gaswerk VI der Stadt Berlin Energie lieferte.

Ausführliche Informationen liegen mit den Geschäftsberichten für die Zeit v. 1.4.1911 – 31.5.1913 vor, dem 16. und 17. Betriebsjahr des Gaswerkes. Danach konnte 1911/12 eine größere Zunahme sowohl der Gasabnehmer wie auch des Gasverbrauchs gegenüber dem Vorjahr verzeichnet werden. Die Einkaufspreise für „Gaskohlen“ erhöhten sich, die Verkaufspreise für Koks fielen. Alle Nebenprodukte fanden einen guten Absatz, so dass keine Lagervorräte vorhanden waren. Misslich war die (zuvor geschilderte) Explosion. Zwar wurde die Gaserzeugung nur für kurze Zeit unterbrochen, war aber bis kurz vor Weihnachten erheblich eingeschränkt. 14,66 Prozent der Jahresmenge musste das Werk vom Gaswerk VI der Stadt Berlin zu einem Preis beziehen, der den der eigenen Erzeugungskosten erheblich überstieg. Trotzdem war man für die Kooperation dankbar.

Das Betriebsjahr 1912/13 ergab wieder eine Zunahme der Gasabnehmer und des -verbrauchs. Die Einkaufspreise für „Gaskohlen“ stiegen und führten zu etwas höheren Verkaufspreisen für Koks.

Folgende Zahlen sind überliefert:

1911/12

1912/13

Entgaste Kohlenmenge

8332 t

10018 t

Zur Verfügung stehendes Gas

2726400 m3

2848700 m3

Erzeugter Koks

5582 t

6712 t

Erzeugter Teer

346 t

450 t

Gasabgabe an die Verbraucher

2313000 m3

2475000 m3

Gasverbrauch für die Straßenbeleuchtung

215350 m3

229600 m3

Zahl der Gasabnehmer am 1. April

3240

3410

Zahl der Gasmesser

5680

5950

Gesamter Koksverkauf

4300 t

5090 t

Teerverkauf

365 t

433 t

Einkaufspreis für Kohle pro Tonne

17-19,10 Mk.

22,52 Mk.

Verkaufspreis für Koks pro Tonne

17-19,10 Mk.

19-22,50 Mk.

Verkaufspreis für Teer pro Tonne

22,50 Mk.

22,50 Mk.

Verkaufspreis für Ammoniakwasser pro kg

0,78 Mk.

1 Mk.

Für das Geschäftsjahr 1911/12 lassen sich die zuvor in der Tabelle genannten Zahlen teilweise noch wie folgt aufteilen:

Tegel

Lübars

Leuchtgas an Private

921778 m3

354091 m3 einschl. Heiz- u. Kraftgas

Heiz- und Kraftgas an Private

1037305 m3

Straßenbeleuchtung, Brennstunden

1132012

260772

Straßenbeleuchtung, Gasmenge

172668 m3

42672 m3

Ebenfalls 1911/12 war es für das Gaswerk teilweise schwierig, den laufenden Bedarf an „Gaskohlen“ zu decken. Das lag an einem „ständigen sehr großen Wagenmangel der Eisenbahnen. Teilweise mussten Gelegenheitskäufe getätigt werden, die zwar pünktlich geliefert wurden, aber auch teurer waren.

Hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse ist folgende Passage im Bericht interessant:

Die Arbeitslöhne sind ebenfalls nicht unerheblich gestiegen, die Willigkeit und Arbeitsfreudigkeit der Arbeiter jedoch geringer geworden, so daß der Geschäftsgang leidet und man gezwungen ist, sich durch maschinelle Einrichtungen unabhängiger zu machen. Diesem Streben wird von der Arbeiterschaft ständig entgegengewirkt.

Hierzu passt der weiter unten aufgeführte Zeitungsartikel über die Arbeitsbedingungen.

Der Haushaltsplan der Gemeinde Tegel veranschlagte für das Rechnungsjahr 1914 an Einnahmen des Gaswerkes:

  1. Private und Behörden 355 000 Mark

  2. Öffentliche Beleuchtung (Tegel 36 000 M., Lübars 6 600 M.) 42 600 Mark

  3. Selbstverbrauch 8 000 Mark

  4. Gasverlust 12 000 Mark.

Das Gaswerk erwirtschaftete danach bei veranschlagten Einnahmen von 963 600 Mark und erwarteten Ausgaben von 907 689,15 Mark einen Gewinn von 55 910,85 Mark

Die regelmäßige Straßen- und Wegebeleuchtung kostete (siehe oben) 36 000 Mark.

Am 18.3.1914 berichtete eine Zeitung :

Arbeitsverbesserungen im Gaswerk zu Tegel. Einen bemerkenswerten Erfolg erzielten die seit kurzer Zeit organisierten Arbeiter der Gemeindegaswerkes in Tegel bei Berlin. Bisher bestand für die Retortenarbeiter der 18stündige Schichtwechsel. Eine der ersten

Forderungen der jungen Organisation war die Beseitigung dieser unmenschlichen Arbeitszeit. Die Anträge der Organisation sind insofern von Erfolg gekrönt, als die 18stündige Wechselschicht beseitigt worden ist. An ihre Stelle tritt an Schichtwechseltagen die zwölfstündige Schicht, die weitergehenden Anträge auf Einführung der achtstündigen Schicht, die in Groß-Berlin allgemein besteht, harrt noch ihrer Erledigung.

Brand in einem Tanzlokal (ehem. Gaswerk Tegel). Bildnachweis: Feuerwache Tegel.

Ernststraße 3; erhalten gebliebenes Gebäude des ehem. Gaswerkes. Foto 1992.

Nach der Eingemeindung Tegels zu Groß-Berlin (1.10.1920) wurden viele gemeindeeigene Versorgungsbetriebe stillgelegt, so auch die Gaswerk Tegel AG im Jahre 1921. Während der Gasbehälter abgerissen wurde, blieben das Wohnhaus (heute Ernststraße 3 a) sowie die Fabrikhalle erhalten. In letzterer befand sich von 1923 – 1931 ein Konsum für die Beschäftigten der Fa. Borsig. Zuletzt (1972) als Tanzlokal unter dem Namen „count down“ genutzt, brannte die gesamte Grundfläche von rund 1000 qm in den frühen Morgenstunden des 8.2.1972 aus. Die Tegeler Feuerwehr musste sämtliche Türen mit Gewalt öffnen. Durch den Brand stürzte ein Teil der stählernen Dachkonstruktion ein. Der Brand war nach 2 ½ Stunden unter Kontrolle, das Gebäude völlig zerstört. Menschen kamen aber nicht zu Schaden.

Gerhard Völzmann


1 Ursprünglich für Öllampen konstruiert. Ringförmiger Gasaustritt durch feine Löcher zur Erhöhung der Leuchtkraft.

 

GaswerkhafenIm Zeitraum von 1902 – 1905 entstand in Tegel beiderseits der Berliner Straße eine durch die Stadt Berlin geplante Gasanstaltsanlage, die bei ihrer Inbetriebnahme am 5.10.1905 Europas größtes und modernstes Gaswerk war. Zum Komplex gehörte an der Neheimer Straße ein Hafen, der zumindest zwei Lastkähnen á 600 t zur Entladung von Kohle sowie einem dritten Fahrzeug zum Löschen von Materialien wie Schamotte oder Reinigermasse Platz bot. Durch eine Hängebahn stand der Hafen mit dem Kohlenspeicher in Verbindung.

Das in der Folgezeit weiter ausgebaute Werk blieb im 2. Weltkrieg nicht vor Bombenabwürfen verschont. Schwerer Schaden entstand durch einen britischen Bomberangriff am 30.1.1944. Nach dem Zusammenbruch 1945 wurde die Gasproduktion zwar wieder aufgenommen, doch im September 1953 erfolgte die Stilllegung des Werkes. Die Anlagen wurden nach und nach abgerissen, an der Bernauer Straße Wohnungen errichtet. Der einstige Gaswerkhafen ist nur noch andeutungsweise zu erkennen. Wenn derzeit in der Neheimer Straße Spaziergänger oder Anwohner von der kleinen Brücke aus  in Richtung Hafen blicken, so gilt ihr Interesse den abgeholzten Bäumen, die eindeutig erkennen lassen, dass hier Biber einen Lebensraum gefunden haben.
Die Fotos in der oberen Reihe zeigen Biberverbiss und -bau, während die untere Reihe einen Eindruck vermittelt, wie der Gaswerkhafen vor 1945 aussah.

Vor 1881 war es umständlich, von Berlin nach Tegel zu gelangen. Die Wagen der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft endeten in Höhe der alten Chausseegeldhebestelle an der Tegeler Chaussee, der Grenze zwischen Wedding und Reinickendorf. Zwar galt es nicht mehr, anschließend durch knöcheltiefen Sand des Weges zu waten. Das hatte sich schon mit der Fertigstellung der Chaussee über ihren bisherigen Endpunkt am Artillerieschießplatz nach Tegel und bis nach Hennigsdorf im Jahre 1849 geändert. Schon 1875 gab es schließlich einen Omnibus, der von der Müllerstr. 114, dem Endpunkt der Pferdeeisenbahn, morgens um 8.15 Uhr, vormittags um 11.15 Uhr, nachmittags um 16.15 Uhr und abends um 20.15 Uhr nach Tegel fuhr. Trotzdem lockten zu dieser Zeit Gondel- und Dampferfahrten auf dem Tegeler See oder ein Besuch der Humboldtschen Begräbnisstätte noch nicht sehr viele Berliner an. Das sollte sich erst ändern, als das Dorf mit dem Netz der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn-AG verknüpft wurde.

BüchmannLebrecht Büchmann, Kaufmann und Direktor der Großen Internationalen Pferdebahn, war es, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Er gründete kurzerhand eine Kommanditgesellschaft (Büchmann & Co.) und erwarb die Konzession für den Bau und Betrieb einer eingleisigen Bahnstrecke nach Tegel. Die Bauausführung übernahm die Große Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft unter technischer Beratung des Ober-Ingenieurs J. Fischer-Dick, während Bauführer Schmidt die Bauleitung erhielt.

Es ist kaum zu glauben, dass die rund 5 km lange Strecke vom ehem. Chausseehaus an der sog. Weichbildgrenze Berlins bis zum Dorf Tegel in kaum vier Wochen fertig gestellt wurde. Dabei mussten mehrere Holzbrücken durch solide überwölbende Grabenbrücken ersetzt werden.

Pferdeeisenbahn

Ein Wagen der Großen Berliner Pferdeeisenbahn auf der Strecke Charlottenstr. (Unter den Linden) – Tegel.

Bei der landespolizeilichen Abnahme der Pferdeeisenbahnstrecke nach Tegel am 3.6.1881 gab es „nichts zu erinnern“. Am nächsten Tag, es war ein Freitag, war dann die festliche Eröffnung der neuen Strecke. Alles, was Rang und Namen hatte, traf sich um 11 Uhr an der bisherigen Endhaltestelle (Müllerstr.) in dem dort gelegenen Gasthaus. Neben Büchmann, Fischer-Dick und Schmidt – Namen, die wir schon kennen – waren Landrat G.  Scharnweber, Landesbaurat der Provinz Brandenburg G. Bluth, Polizeihauptmann L. von Albert, Direktor M. Hirsch von der Großen Berliner Pferdeeisenbahn, Landesbauinspektor Reinhold und natürlich Tegels Amtsvorsteher Brunow erschienen, ohne dass damit alle Teilnehmer der Festgesellschaft genannt sind.
Man nahm auf der „Imperiale“ zweier Pferdeeisenbahnwagen Platz. Eichenlaubgewinde und Birkenzweige schmückten die beiden Wagen. An der Wagenspitze wehte auch die schleswig-holsteinische Fahne „in zarter Galanterie an das jüngst eroberte, holde Mitglied unserer Königsfamilie, Prinzessin Wilhelm“. Damit war die Prinzessin zu Schleswig-Holstein, Auguste Viktoria, gemeint, die erst kurz zuvor, am 27.2.1881, Wilhelm II., den späteren Kaiser und König von Preußen geheiratet hatte.

Drewitz

Im Lokal von Drewitz (Nachfolger Ewest) wurde 1881 gefeiert.

In bester Stimmung begann die Einweihungsfahrt. Mit lauten Hochrufen begrüßten Arbeiter, die an der Wegstrecke noch letzte Arbeiten erledigten, die Gesellschaft. Tegel war festlich geschmückt. Beiderseits der Dorfstraße waren Masten errichtet, die mit Laubgirlanden umwunden und verbunden waren. An den Mastspitzen flatterten deutsche und preußische Fahnen. Besonders die dunkel gekleidete Jugend begrüßte die eintreffenden Herren mit Enthusiasmus. War es der Gedanke an die nun näher gerückte Erlebniswelt Berlin? Die so laut und herzlich empfangene Gesellschaft begab sich in das nahe gelegene Drewitzsche Lokal. Hier waren bereits Tafeln in Hufeisenform errichtet. Um weitere Tegeler Honoratioren wie z. B. Sanitätsrat C. A. la Pierre (Arzt des frz. Hospitals und Waisenhauses) und alteingesessene Grundbesitzer verstärkt, begann ein von guter Laune gewürztes Frühstück. es wurde viel getoastet und geredet. Die Frühstückssitzung endete mit einem Tafellied (Refrain am „schönen Tegeler See“) nach der Melodie „Am grünen Strand der Spree“, freilich unter kühner Hinwegsetzung der hergebrachten Gesetze der Harmonie gesungen.

Fahrschein

Ein Teilstreckenfahrschein der Großen Berliner Pferdebahn AG aus dem Jahre 1884.

Es folgte eine Promenade am Ufer des Tegeler Sees. Mit einer „Kaffeesitzung“ unter den Bäumen im Vorgarten des Drewitzschen Lokals fand dann die offizielle Eröffnungsfeier ihr Ende. Einige Teilnehmer genossen anschließend die Schönheit des Tages und des Ortes weiter in Tegel, während andere zum Ausgangspunkt der Bahn zurückkehrten, um hier „das fröhliche Ende an den fröhlichen Anfang“ anzuknüpfen.

Das Pfingstfest war die erste Bewährungsprobe für die am Tage mit roter Fahne und nachts mit roter Laterne gekennzeichneten Wagen. Eine Fahrt von der Weidendammer Brücke bis zum Dorf Tegel kostete 50 Pf., seit dem 15.10.1884 nur noch 40 Pf. Die stündlich, an Sonntagen gar alle 20 Minuten verkehrende Bahn musste auf dem eingleisigen Teil der Strecke gelegentlich an den Weichen Pausen einlegen. Hier wie an den Endhaltestellen waren natürlich Gaststätten, die von den Tegelern beim Zwischenhalt gern aufgesucht wurden. Denn die Bahnfahrt verursachte im Sommer Durst und im Winter kalten Füße.

Am 3.6.1891 fand aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Eröffnung der Pferdeeisenbahn nach Tegel eine Feier im Gesellschaftshaus „Zum Leydecker“ statt. Etwa 70 Personen feierten bis 3 Uhr morgens.

Gerhard Völzmann

Jagdschloss Tegel 1701

Während die Tegeler Mühle bereits 1375 im Landbuch Kaiser Karls IV. erwähnt wurde, geht die Geschichte des Schlösschens auf die Zeit um 1558 zurück. Kurfürst Joachim II. hatte das bis zum Tegeler Fließ reichende Gut Heiligensee erworben. Auf einem hierzu gehörigen und bereits vorhandenen Vorwerk entstand das Tegeler Gut mit einem kleinen Gebäude, dem „Schlösschen“. Der Kurfürstliche Sekretär Hans Bredtschneider, der zuvor  das Rosenthaler Gut betrieb, übernahm das neue kleine, wenig nutzbare Anwesen, um u.a. Wein anzubauen.

Wir blicken nun in das Jahr 1731. Das Vorwerk und das Schlösschen Tegel gehörten zum Amt Schönhausen. Grund und Boden des an der Poststraße nach Hamburg gelegenen Anwesens wurden – ohne das beim Neuen Krug, dem heutigen „Wirtshaus im Alten Fritz“ gelegene Gartenland – auf 184 Morgen 95 Quadratruten geschätzt. Auf der Nordseite reichte es von den Sandhügeln der Heiligenseer Heide, auf der Ost- und Südseite bis zum Mühlenfliess und auf der Westseite bis zum „See Malchow“, also bis zur Malche. Bis 1738 hatte es der Forstrat Thielo bewirtschaftet und hierfür als jährliche Pacht 137 Taler 22 Groschen und 11 Pfennige bezahlt. In der Folgezeit von 1738 – 1744 blieb der Pachtbetrag mit 138 Taler 22 Groschen und 3 Pfennigen nahezu unverändert. Im letztgenannten Jahr erbat Thielo eine Pachtverlängerung für erneute 6 Jahre. Doch nun wurde ein neuer Nutzungsanschlag erstellt, den wir uns nachfolgend näher ansehen wollen:

1. Ackerland
Der Acker für den Anbau von Roggen hatte eine Fläche von 115 Morgen 103 Quadratruten. Hiervon musste aber jährlich wechseln stets eine Hälfte brach liegen bleiben. Auf der anderen Hälfte wurden je Morgen 10 Metzen benötigt, so dass 1 Wispel 12 Scheffel 1 ¾ Metzen Saatgut erforderlich waren. Der Ertrag brachte eine 3 ½ fache Vervielfältigung. Mithin konnten 5 Wispel 6 Scheffel 6 1/8 Metzen geerntet werden. Davon wurde die bereits zuvor genannte Menge an Roggen wieder als Saatgut für das Folgejahr zurückgelegt, während 1 Wispel 21 Scheffel 2 1/8 Metzen zur „Wirtschaft“ genommen und 1 Wispel 21 Scheffel sowie 2 ¼ Metzen zur Pacht gerechnet wurden. Bei einem Wert von 16 Groschen je Scheffel ergab dies einen Pachtbetrag von 30 Taler 2 Groschen 3 Pfennig.

2. Wiesen
Zwei Wiesen waren vorhanden. Die größere „bey Tegel“ war von mittelmäßiger Güte und konnte zweimal gemäht werden, während die kleinere „bey Spandau“ mit ihren geschätzten 9 Morgen 39 Quadratruten ständig unter Wasser stand und nur einmal gemäht wurde. Ein Morgen Wiese wurde teils mit 18, teils mit 12 Groschen gerechnet. Zwar war noch beim Neuen Krug ein 3 Morgen 111 Quadratruten großes Luch vorhanden, doch dort musste erst ein 4 Fuß breiter Entwässerungsgraben angelegt, um es als Wiesenland nutzen zu können.
Die beiden erstgenannten Wiesen waren bei der Pacht zu rechnen mit  20 Taler 2 Groschen 4 Pfennig.

3. Viehzucht
10 Kühe zu 30 Taler, 6 Stück „Güstesvieh“ (Vieh, das noch gar nicht oder seit einiger Zeit nicht getragen hatte) zu 4 Taler, Federvieh und Schweine zu 4 Taler ergaben für alles Vieh zusammen eine Pacht von 38 Taler.

4. Gartenland
Es hatte eine Größe von 2 Morgen 92 Quadratruten, wobei jeder Morgen zu 2 Taler veranschlagt wurde. Beim Krug war zudem ein kleiner Garten (29 Quadratruten) angelegt. Es wäre auch noch „ein gewisser Platz“ von 1 Morgen 134 Quadratruten in Gartenland umwandelbar. Für die Pacht waren zu berücksichtigen 5 Taler 6 Pfennig.

5. Weinberg
Dieser hat eine Größe von 7 Morgen 11 Quadratruten und rechnet je Morgen mit 1 Taler 8 Groschen. Für die Pacht des ganzen Weinberges fielen mithin an Pacht an 9 Taler 9 Groschen 11 Pfennig.

6. Fischerei
Die „Fischerey im See Malchow mit der Warte, der Zuhr und dem kleinen Garn“ (Fischerei-Gerätschaften) rechnete bei der Pacht mit  6 Taler.

7. Neuer Krug
Der „am berlinischen Wege“ befindliche Krug verkaufte jährlich 50 Tonnen Ruppiner Bier. Für jede Tonne fielen 8 Groschen „Zapfenzins“ an, zusammen 16 Taler 16 Groschen.

8. Miete für das Schlösschen
Die Miete für das Haus betrug  15 Taler. Die gesamte Pacht für das Gut erreichte damit eine Summe von  140 Taler 7 Groschen.*) Für diesen Betrag behielt Thielo das Vorwerk weiterhin bis zum Jahre 1750. Nun wurde allerdings eine wesentliche Veränderung beschlossen. Die Pacht erhöhte sich auf 258 Taler 14 Groschen 11 Pfennig. Der Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

Höhe des Pachtgeldes – hier wurde auf die Kretschmare Ackerart (d.h. tiefer pflügen, dünner aussähen) 8 Taler 8 Groschen 1 Pfennig gerechnet.168 Taler14 Groschen11 Pfennig
Besondere Verpachtung des Neuen Kruges50 Taler
Beide Valentinswerder (damals noch 2 Inseln) sollten an einen Kolonisten vergeben werden. Dieser sollte geben:24 Taler
Aus einem noch 1750 neu gebauten Familienhaus hoffte man „zu ziehen“:16 Taler
258 Taler14 Groschen11 Pfennig

Einer, der an einer Pacht Interesse hatte, war der einstige Kammerdiener des Prinzen Ferdinand und spätere Hofrat Christian Ludewig Möring. Auf unmittelbaren königlichen Befehl v. 3.6.1750 wurden diesem das Vorwerk, das Schlösschen und die Fischerei „im See Malchow“ zum oben genannten Pachtbetrag von 168 Taler 14 Groschen 11 Pfennig für 6 Jahre überlassen. Doch schon im Folgejahr weigerte sich Möring, die erhöhte Pacht zu zahlen, zumal ihm der Neue Krug und die anderen „Stücke“ nicht mit eingeräumt wurden. Er schrieb am 22.12.1751 direkt an den König und schlug vor, auf seine Kosten eine Maulbeer-Plantage mit 100.000 Bäumen anzulegen. Dafür sollten ihm gegen „einen jährlichen Canon von 147 Taler“ das kleine Vorwerk, ein geringes Deputat an Brennholz und der Neuen Krug „erb- und eigentümlich verschrieben“ werden. Er versprach auch eine Verbesserung der Gebäude auf dem Vorwerk im Wert von über 600 Taler und einen Ausbau des Kruges, wenn ihm das nötige Bauholz gegeben würde.

Der König ging auf dieses Gesuch ein und befahl am 23.1.1752, Möring das Vorwerk in Erbpacht zu geben. Schon am 10.2.1752 wurde der Erbpacht-Vertrag unterschrieben. Der Inhalt des Vertrages und die weitere Entwicklung des Vorwerks und des Schlösschen wären bereits weitere Kapitel aus der Historie des Anwesens.

Gerhard Völzmann

 


*) Zu dieser Zeit hatte 1 Taler 24 Groschen und 1 Groschen 12 Pfennige.