Das einstige Gaswerk der Gemeinde Tegel (Gaswerk Tegel AG) ist nicht mit dem Werk Tegel der Berliner Städtischen Gaswerke AG zu verwechseln. Das erstgenannte Werk befand sich in der Gaswerkstraße 4 – 5 (heutige Ernststraße), während die Städtischen Werke unter der Anschrift Berliner Straße 48 – 60 zu erreichen waren.

Doch zunächst ein Rückblick auf die Tegeler Straßenbeleuchtung bis zum Jahre 1896. Dem Niederbarnimer Kreisblatt v. 20.9.1876 war zu entnehmen, dass in Tegel „vor Kurzem“ eine Straßenbeleuchtung eingerichtet wurde. Es war eine Petroleumbeleuchtung. Die Laternenmaste waren aus Holz. Die Zahl Laternen wurde vom Herbst 1889 bis Mitte Okt. 1890 um 25 Stück vermehrt. Zur Unterhaltung der Beleuchtung wurden in erster Linie die Einnahmen aus der Hundesteuer verwendet.

Zum Leidwesen der Gemeindeverwaltung wie auch der Einwohner wurden die Laternen immer wieder beschädigt. So berichtete die neue Vorort-Zeitung am 18.8.1894:

Tegel. Am letzten Montag tagte hier die Gemeinde-Vertretung und wurde beschlos-sen, dem Unternehmer Karl Franke aus Bremen die Konzession zur Erbauung und zum Betriebe eines Gaswerkes für Tegel zu ertheilen. Mit dem Bau, zu dem der poli-zeiliche Konsenz nachgesucht ist, soll baldigst begonnen werden, sodaß das Gas-werk schon zum nächsten Winter in Betrieb gesetzt werden kann.

 Am 3.3.1896 teilte der Tägliche Anzeiger für die Gemeinde Hermsdorf seinen Lesern folgendes mit:

Tegel. Am letzten Montag tagte hier die Gemeinde-Vertretung und wurde beschlossen, dem Unternehmer Karl Franke aus Bremen die Konzession zur Erbauung und zum Betriebe eines Gaswerkes für Tegel zu ertheilen. Mit dem Bau, zu dem der polizeiliche Konsenz nachgesucht ist, soll baldigst begonnen werden, sodaß das Gaswerk schon zum nächsten Winter in Betrieb gesetzt werden kann.

Am 14.4.1896 berichtete die Zeitung, dass die Gasanstalt bereits im Bau sei und zum 1.9. d. J. in Betrieb gesetzt werden soll. Der Bauplatz lag nordöstlich der Chaussee (Berliner Straße) dicht neben der neuen Borsigschen Fabrikanlage.

Der Errichtung des Gaswerkes lag ein Vertrag zu Grunde, der am 13.3.1896 zwischen dem Bremer Carl Francke und dem Gemeinde-Vorstand Tegel abgeschlossen wurde. Der Kreis-Ausschuss des Kreises Nieder-Barnim hatte ihn am 12.3.1896 den Beschlüssen der Gemeinde-Vertretung Tegel v. 24.2. und 10.3.1896 entsprechend genehmigt. Es lohnt sich, den Vertrag einmal näher anzusehen.

Danach übernahm Francke die Herstellung und den Betrieb einer Steinkohlengasanstalt nebst Straßenrohrnetz mit Laternen auf eigene Rechnung. Öffentliche Gebäude und Privatwohnungen waren mit Gas zu versorgen. Gas-Zuleitungen mussten bis 3 m hinter der Baufluchtlinie hergestellt werden.

Der Vertrag hatte eine Laufzeit von 25 Jahren, gerechnet vom Tag des Beginns der öffentlichen Beleuchtung. Der Unternehmer verpflichtete sich, bis zum 1.4.1897 die Anlage zu vollenden und die vorgesehenen Straßen und Plätze mit Gas zu beleuchten. Für das Rohrleitungssystem mussten eiserne Röhren verwendet werden.

§ 7 Abs. 2 des Vertrages lautete: Wenn infolge eines Straßenauflaufes oder Tumultes Beschädigungen der öffentlichen Beleuchtungskörper vorkommen, soll die Gemeinde nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zum Ersatz der Wiederherstellungskosten verpflichtet sein“.

Als durchschnittliche Brennzeit jeder öffentlichen Laterne wurden 1500 Brennstunden festgelegt. Mindestens 200 Straßenlaternen waren geplant. Weniger als 2 Brennstunden je Laterne und Tag durften nicht verlangt werden.

Laternen brannten damals nicht etwa vom Eintritt der Dämmerung bis zum Morgengrauen. Vielmehr richtete sich die Brennzeit im Wesentlichen nach einem jährlich zu erlassenden Brennkalender. Hierin wurden die Brennstunden, die „mit Sicherheit“ bestimmbar waren, eingetragen. Der Gemeinde-Vertretung war es freigestellt, Änderungen vorzunehmen. So konnte durchaus auch eine regelmäßige Nachtbeleuchtung einer beschränkten Anzahl von Laternen bestimmt werden, die dann von 11 Uhr abends bis zum Tagwerden leuchteten.

Sämtliche Laternen mussten vertraglich spätestens 30 Minuten nach der vereinbarten Zeit angezündet sein. Anderenfalls musste Unternehmer Francke eine Konventionalstrafe von 10 Pf. pro Laterne zahlen. Ausnahmen galten nur bei mutwilliger Beschädigung, heftigem Sturm, Regen, Frost oder Schneetreiben, also bei Erschwernissen für den Laternenanzünder.

Zur Straßenbeleuchtung sollte nur Gasglühlicht von mindestens 30 Kerzen Stärke verwendet werden. Zudem sollte die Leuchtkraft des Gases bei 140 Liter Konsum im Argandbrenner1  pro Stunde gleich der Leuchtkraft von 14 Normalkerzen sein. Sollte der Unternehmer die Lichtstärke nicht erreichen, musste er ohne zusätzliche Vergütung die Gasmenge erhöhen.

Die bei der Fabrikation des Gases gewonnenen übelriechenden Produkte sind so aufzubewahren, dass sie der Umgebung weder schädlich noch lästig werden“, lautete § 15 a. a. O.

Natürlich war auch geregelt, welche Beträge Francke für seine Leistungen erhielt: 25 Mark waren für je 1000 Brennstunden einer Straßenlaterne zu zahlen. Ein Mehrverbrauch wurde entsprechend vergütet. 4 Pf. pro Brennstunde und Flamme fielen an, wenn einzelne Laternen außerhalb der üblichen Brennstunden betrieben wurden.

Für Privatpersonen sollte Leuchtgas nicht über 18 Pf. je Kubikmeter kosten, für Motoren, Heiz- und Kochgas nicht über 12 Pf. Dem Unternehmen war eine Anpassung des Privatgaspreises um 2 Pf. pro m3 zugestanden, wenn die Preise für „gu- te Gaskohlen“ den Normalsatz von 200 Mark pro 10 000 Kilo franko Gaswerk um ein Fünftel übersteigen sollten.

Carl Francke wurde vertraglich zugesichert, dass keinem anderen Unternehmen die Befugnis des Gasverkaufs erteilt werde. Dritte durften weder unter- noch oberirdisch Leitungen für Elektrizität legen und für eine Erleuchtung nutzen.

Nach Ablauf des Vertrages war die Gemeinde Tegel befugt, diesen um jeweils 10 Jahre zu verlängern, musste dies aber 2 Jahre vorher kundtun. Im Falle einer Abstandnahme hiervon seitens der Gemeinde musste diese das Werk zur Hälfte des Tax- und Geschäftswertes kaufen.

Die Kaution, die Francke zur Erfüllung seiner Verpflichtungen hinterlegen musste, betrug 10 000 Mark.

Wohl mit Bedacht stand im Vertrag abschließend: Sollte zum Betriebe des Gaswerks eine Aktiengesellschaft gebildet werden, dann behält sich die Gemeinde Tegel das Recht der Teilnahme an der Verwaltung der Aktiengesellschaft vor; ihr sind zu diesem Zwecke mindestens zweitausend Mark Aktien zum Nominalwert zuzuweisen und ein Vertreter der Gemeinde Tegel muß dem Aufsichtsrat mit Sitz und Stimme angehören.“

Zeitungsanzeige v. 25.2.1899

Tatsächlich trat Francke bereits am 24.4.1896 seine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag an die Aktiengesellschaft Gaswerk Tegel ab.

Die Gasbereitungs- und Gasbewahranstalt wurde laut Verhandlung vom 13.11.1896 als errichtet und dem Betrieb übergeben festgestellt. Die Gasleitungsröhren waren gelegt, die Laternen aufgestellt. Die öffentliche Gasbeleuchtung in den Straßen Tegels begann also am 13.11.1896, der Vertrag v. 13.3.1896 bekam danach Gültigkeit bis zum 13.11.1921. In der Verhandlung wurde auch festgestellt, dass die Zahl der Straßenlaternen noch zu mehren sei, zudem waren noch einige Leitungen erforderlich.

In der Folgezeit dehnte die Gaswerk Tegel AG ihre Gaslieferungen aus. So wurden

  • Wittenau und Borsigwalde ab Oktober 1900,

  • Waidmannslust ab Juli 1901,

  • Hermsdorf ab August 1901 und

  • Lübars ab Oktober 1905

mit Gas aus Tegel versorgt.

Im Jahre 1902 kam es vor dem Berliner Schöffengericht zu einem Verfahren wegen Diebstahls. Angeklagt waren der Gastwirt und Gemeindevertreter F. Kulina aus der Egellsstraße und der bei der Gaswerk Tegel AG tätige Arbeiter Müller. Was war der Grund? Im letzten Winter wurde in Tegel längere Zeit über eine ungenügende Straßenbeleuchtung gesprochen. Es wurde gemunkelt, dass das Gaswerk die Düsen in den Laternen verengt habe, damit der Gasverbrauch abnehmen würde. Als Gemeindevertreter wollte Kulina den Wahrheitsgehalt dieses Gerüchtes überprüfen. Durch Müller ließ sich Kulina einige Düsen alter und neuer Konstruktion besorgen, die er dann dem Haus- und Grundbesitzerverein vorlegte. Tatsächlich zeigte sich, dass das Gaswerk hier eine „Sparsamkeit“ entwickelt hatte. Der bei der Sitzung anwesende Gendarm erstattete dem Amtsvorsteher Bericht über diesen Sachverhalt mit der Folge, dass gegen Müller Anklage wegen Diebstahls und gegen Kulina gleiches wegen Verleitung zum Diebstahl erhoben wurde. Das Schöffengericht sprach zwar beide Angeklagte frei, doch der Arbeiter Müller wurde vom Gaswerk sofort entlassen.

Der Prozeß zeigt, wie vor den Thoren Berlins Gemeindeverordnete behandelt werden, die Interesse für kommunale Fragen bekunden. So das Fazit damaliger Zeit zu diesem Vorgang.

Plan 1910

Das Tegeler Gaswerk verfügte im Jahre 1905 vor Beginn der Gaslieferung nach Lübars über ein Gesamtrohrnetz von 66,97 km Länge und produzierte über eine Million Kubikmeter Gas. In Hermsdorf, das ein Rohrnetz von 17,35 km Länge hatte, gab es am 1.4.1905 312 Gasabnehmer mit 577 Gasmessern. Hier wurden 91598 m3 Leuchtgas, 82934 m3 Heizgas und 26108 m3 Gas für die Straßenbeleuchtung verbraucht. Der Ort hatte 126 – 134 Laternen mit 187205 Stunden Brenndauer in Betrieb. Der Gesamtverbrauch von 200640 m3 Gas bedeutete für das Tegeler Gaswerk 16 Prozent der Gesamtabgabe an Gas.

Dalldorf mit Borsigwalde stand dem größeren Hermsdorf nicht viel nach. Hier war das Rohrnetz sogar 19,26 km lang. Der Verbrauch lag bei 72688 Kubikmeter Leuchtgas, 41814 m3 Heizgas und 34963 m3 Gas für die Straßenbeleuchtung. Es gab 203 Gasabnehmer und 302 Gasmesser. 190 – 204 Laternen brannten an 244337 Stunden. Mit dem Gesamtverbrauch von 149465 m3 Gas in Dalldorf und Borsigwalde erzielte das Gaswerk in Tegel eine Abgabe von 11.8 Prozent seiner Gesamtmenge.

Die genannten Zahlen bedeuteten eine große Steigerung des Gaskonsums und machten eine Vergrößerung des Werkes erforderlich. 1905 wurde mit der Erweiterung begonnen, die zu einer Verdoppelung der Leistungsfähigkeit führte.

Im gleichen Jahr wurden die zwischen der Tegeler Gemeindevertretung und dem Gaswerk entstandenen Differenzen durch einen Vergleich beigelegt. Es ging um die Höhe des Gaspreises. Die Gasanstalt hatte sich vertraglich verpflichtet, den Preis für Leuchtgas von 17 auf 16 und den für Kochgas von 11 auf 10 Pfennig herabzusetzen, sobald der Gesamtumsatz 1 Million m3 Gas beträgt. Durch Anschluss von Nachbargemeinden wurde die Umsatzhöhe erreicht, diesen Orten auch der ermäßigte Gaspreis eingeräumt. Tegel erhielt diesen Preis jedoch nicht. Es hieß, die Gemeinde müsste allein die Grenze von 1 Million m3 erreichen. Der Vertrag ließ hierüber Zweifel offen. So kam es zu dem Vergleich, den ermäßigten Preis (erst) zum 1.4.1906 einzuführen. Im April 1907 hätte Tegel wohl allein die Umsatzhöhe erreicht.

Am 15.10.1907 endete die Gasversorgung Hermsdorfs durch das Tegeler Gaswerk. Die dortige Gemeinde nahm nämlich am Folgetag ihr selbst errichtetes Gaswerk in Betrieb. Für die Hermsdorfer verbilligte sich dadurch der Gaspreis. Bisher kostete das Leuchtgas der Tegeler Gasanstalt 15 Pfennig und das Kochgas 10 Pfennig pro Kubikmeter, während das Hermsdorfer Werk für Leucht- und Kochgas einheitlich 13 Pfennig pro Kubikmeter berechnete.

Adressbuch 1905

1908 verzeichnete das Tegeler Gaswerk eine nicht so günstige Entwicklung, wie dies noch im Vorjahr der Fall war. Die Zahl an weiteren Konsumenten wie auch die der Gasabgabe hatte merklich nachgelassen. Das lag an der geringen Bautätigkeit, der „flauen“ Geschäftslage und der Sparsamkeit der Verbraucher. Die „kleinen Leute“ vermieden Ausgaben, die nicht unbedingt nötig waren.

Allerdings hielt sich der Gasverbrauch auf der Höhe des Jahres 1907, die Industrie verbrauchte sogar mehr. Der Kokspreis lag unter dem des Vorjahres; Teer hatte einen niedrigen Preis und war schwer zu verkaufen. Lebhaft verlangt wurde hingegen zu einem annehmbaren Preis verdichtetes Ammoniakwasser. Der Kohlenpreis war recht hoch. Insgesamt bezeichnete die Gaswerk Tegel AG das Geschäftsjahr 1908 als befriedigend.

Eine gewaltige Explosion ereignete sich am 2.10.1911 gegen 5 Uhr in der Frühe. Im Maschinenhaus der Gasanstalt, das mit dem zur Reinigung des Gases dienenden Apparateraum in direkter Verbindung stand, verrichten der 38-jährige Maschinenwärter Adolf Reuß (verheiratet und Familienvater) und die beider Heizer Schubert und Prochnow ihre Arbeit. Gerade hatten die Heizer sich zu einer Pause in den nebenan liegenden Arbeitsraum begeben, als sich im Maschinenhaus eine gewaltige Explosion ereignete. Die weithin hörbare Detonation löste bei der Tegeler Feuerwehr und den Wehren des Borsigwerkes und denen der umliegenden Ortschaften Alarm aus. Als die Feuerwehren in der Gaswerkstraße eintrafen, stand das Maschinenhaus in Flammen. Die fast 20 m lange Gebäudewand zur Straßenseite hin war eingestürzt. Der Maschinenwärter Reuß lag besinnungslos und schwer verletzt auf der Straße. Der Luftdruck hatte ihn zusammen mit den Trümmermassen über einen Drahtzaun hinweg mitten auf die Straße geschleudert. Sein Unterschenkel war gebrochen, Gesicht und Hände schwer verbrannt, wie sich später herausstellte. Rettungsmannschaften brachten ihn zum Paul-Gerhardt-Stift in der Müllerstraße.

Die beiden Heizer im Nachbarraum des Maschinenhauses wurde durch die Steine der eingestürzten Trennungswand begraben. Sie konnten sich aber selbst befreien und kamen mit leichten Quetschwunden und Kontuflouen davon.

Die Feuerwehrleute bekämpften die Flammen, die auch bereits in der Nähe aufgestapelte Kohlen erfasst hatten. Es bestand zudem die Gefahr, dass die Gasbehälter explodierten. Ursache war, dass aus einem kleinen Hahn des Gasreinigers fortgesetzt Gas ausströmte und sich zu einer Stichflamme entzündete. Der Reinigungsbehälter war bereits eingebeult. Drei mutige Feuerwehrleute, unter ihnen Brandinspektor Gläser, der damalige Leiter derFeuerwehr der Fa. Borsig, kletterten über den Reiniger auf das Dach und kühlten dort, großer Hitze ausgesetzt, durch einen Wasserstrahl die angegriffene Stelle des Behälter-Mantels. Sie konnten eine Explosion verhindern.

Schlimm sah es in der Maschinenhalle aus. Maschinen-Saugapparate, Motoren, Exhauster waren stark beschädigt; der Betrieb musste eingestellt werden. Fensterscheiben der Maschinenhalle und der umliegenden Gebäude waren zersplittert. Merkwürdig war der Verlauf der Explosion. Maschinenhäuser in Gasanstalten tragen nämlich nur leichte Holzdächer, damit im Falle einer Explosion die Gase einen Ausweg finden und nur geringe Massen herabstürzen. Hier erfolgte die Explosion aber in seitlicher Richtung. Das Dach blieb unbeschädigt.

Für den Abend und die Nacht wurden in Tegel wie in den mitversorgten Ortschaften durch verringerte Gaszufuhren Einschränkungen bis hin zur Straßenbeleuchtung befürchtet. Dies geschah jedoch nicht, weil das Gaswerk VI der Stadt Berlin Energie lieferte.

Ausführliche Informationen liegen mit den Geschäftsberichten für die Zeit v. 1.4.1911 – 31.5.1913 vor, dem 16. und 17. Betriebsjahr des Gaswerkes. Danach konnte 1911/12 eine größere Zunahme sowohl der Gasabnehmer wie auch des Gasverbrauchs gegenüber dem Vorjahr verzeichnet werden. Die Einkaufspreise für „Gaskohlen“ erhöhten sich, die Verkaufspreise für Koks fielen. Alle Nebenprodukte fanden einen guten Absatz, so dass keine Lagervorräte vorhanden waren. Misslich war die (zuvor geschilderte) Explosion. Zwar wurde die Gaserzeugung nur für kurze Zeit unterbrochen, war aber bis kurz vor Weihnachten erheblich eingeschränkt. 14,66 Prozent der Jahresmenge musste das Werk vom Gaswerk VI der Stadt Berlin zu einem Preis beziehen, der den der eigenen Erzeugungskosten erheblich überstieg. Trotzdem war man für die Kooperation dankbar.

Das Betriebsjahr 1912/13 ergab wieder eine Zunahme der Gasabnehmer und des -verbrauchs. Die Einkaufspreise für „Gaskohlen“ stiegen und führten zu etwas höheren Verkaufspreisen für Koks.

Folgende Zahlen sind überliefert:

1911/12

1912/13

Entgaste Kohlenmenge

8332 t

10018 t

Zur Verfügung stehendes Gas

2726400 m3

2848700 m3

Erzeugter Koks

5582 t

6712 t

Erzeugter Teer

346 t

450 t

Gasabgabe an die Verbraucher

2313000 m3

2475000 m3

Gasverbrauch für die Straßenbeleuchtung

215350 m3

229600 m3

Zahl der Gasabnehmer am 1. April

3240

3410

Zahl der Gasmesser

5680

5950

Gesamter Koksverkauf

4300 t

5090 t

Teerverkauf

365 t

433 t

Einkaufspreis für Kohle pro Tonne

17-19,10 Mk.

22,52 Mk.

Verkaufspreis für Koks pro Tonne

17-19,10 Mk.

19-22,50 Mk.

Verkaufspreis für Teer pro Tonne

22,50 Mk.

22,50 Mk.

Verkaufspreis für Ammoniakwasser pro kg

0,78 Mk.

1 Mk.

Für das Geschäftsjahr 1911/12 lassen sich die zuvor in der Tabelle genannten Zahlen teilweise noch wie folgt aufteilen:

Tegel

Lübars

Leuchtgas an Private

921778 m3

354091 m3 einschl. Heiz- u. Kraftgas

Heiz- und Kraftgas an Private

1037305 m3

Straßenbeleuchtung, Brennstunden

1132012

260772

Straßenbeleuchtung, Gasmenge

172668 m3

42672 m3

Ebenfalls 1911/12 war es für das Gaswerk teilweise schwierig, den laufenden Bedarf an „Gaskohlen“ zu decken. Das lag an einem „ständigen sehr großen Wagenmangel der Eisenbahnen. Teilweise mussten Gelegenheitskäufe getätigt werden, die zwar pünktlich geliefert wurden, aber auch teurer waren.

Hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse ist folgende Passage im Bericht interessant:

Die Arbeitslöhne sind ebenfalls nicht unerheblich gestiegen, die Willigkeit und Arbeitsfreudigkeit der Arbeiter jedoch geringer geworden, so daß der Geschäftsgang leidet und man gezwungen ist, sich durch maschinelle Einrichtungen unabhängiger zu machen. Diesem Streben wird von der Arbeiterschaft ständig entgegengewirkt.

Hierzu passt der weiter unten aufgeführte Zeitungsartikel über die Arbeitsbedingungen.

Der Haushaltsplan der Gemeinde Tegel veranschlagte für das Rechnungsjahr 1914 an Einnahmen des Gaswerkes:

  1. Private und Behörden 355 000 Mark

  2. Öffentliche Beleuchtung (Tegel 36 000 M., Lübars 6 600 M.) 42 600 Mark

  3. Selbstverbrauch 8 000 Mark

  4. Gasverlust 12 000 Mark.

Das Gaswerk erwirtschaftete danach bei veranschlagten Einnahmen von 963 600 Mark und erwarteten Ausgaben von 907 689,15 Mark einen Gewinn von 55 910,85 Mark

Die regelmäßige Straßen- und Wegebeleuchtung kostete (siehe oben) 36 000 Mark.

Am 18.3.1914 berichtete eine Zeitung :

Arbeitsverbesserungen im Gaswerk zu Tegel. Einen bemerkenswerten Erfolg erzielten die seit kurzer Zeit organisierten Arbeiter der Gemeindegaswerkes in Tegel bei Berlin. Bisher bestand für die Retortenarbeiter der 18stündige Schichtwechsel. Eine der ersten

Forderungen der jungen Organisation war die Beseitigung dieser unmenschlichen Arbeitszeit. Die Anträge der Organisation sind insofern von Erfolg gekrönt, als die 18stündige Wechselschicht beseitigt worden ist. An ihre Stelle tritt an Schichtwechseltagen die zwölfstündige Schicht, die weitergehenden Anträge auf Einführung der achtstündigen Schicht, die in Groß-Berlin allgemein besteht, harrt noch ihrer Erledigung.

Brand in einem Tanzlokal (ehem. Gaswerk Tegel). Bildnachweis: Feuerwache Tegel.

Ernststraße 3; erhalten gebliebenes Gebäude des ehem. Gaswerkes. Foto 1992.

Nach der Eingemeindung Tegels zu Groß-Berlin (1.10.1920) wurden viele gemeindeeigene Versorgungsbetriebe stillgelegt, so auch die Gaswerk Tegel AG im Jahre 1921. Während der Gasbehälter abgerissen wurde, blieben das Wohnhaus (heute Ernststraße 3 a) sowie die Fabrikhalle erhalten. In letzterer befand sich von 1923 – 1931 ein Konsum für die Beschäftigten der Fa. Borsig. Zuletzt (1972) als Tanzlokal unter dem Namen „count down“ genutzt, brannte die gesamte Grundfläche von rund 1000 qm in den frühen Morgenstunden des 8.2.1972 aus. Die Tegeler Feuerwehr musste sämtliche Türen mit Gewalt öffnen. Durch den Brand stürzte ein Teil der stählernen Dachkonstruktion ein. Der Brand war nach 2 ½ Stunden unter Kontrolle, das Gebäude völlig zerstört. Menschen kamen aber nicht zu Schaden.

Gerhard Völzmann


1 Ursprünglich für Öllampen konstruiert. Ringförmiger Gasaustritt durch feine Löcher zur Erhöhung der Leuchtkraft.

 

GaswerkhafenIm Zeitraum von 1902 – 1905 entstand in Tegel beiderseits der Berliner Straße eine durch die Stadt Berlin geplante Gasanstaltsanlage, die bei ihrer Inbetriebnahme am 5.10.1905 Europas größtes und modernstes Gaswerk war. Zum Komplex gehörte an der Neheimer Straße ein Hafen, der zumindest zwei Lastkähnen á 600 t zur Entladung von Kohle sowie einem dritten Fahrzeug zum Löschen von Materialien wie Schamotte oder Reinigermasse Platz bot. Durch eine Hängebahn stand der Hafen mit dem Kohlenspeicher in Verbindung.

Das in der Folgezeit weiter ausgebaute Werk blieb im 2. Weltkrieg nicht vor Bombenabwürfen verschont. Schwerer Schaden entstand durch einen britischen Bomberangriff am 30.1.1944. Nach dem Zusammenbruch 1945 wurde die Gasproduktion zwar wieder aufgenommen, doch im September 1953 erfolgte die Stilllegung des Werkes. Die Anlagen wurden nach und nach abgerissen, an der Bernauer Straße Wohnungen errichtet. Der einstige Gaswerkhafen ist nur noch andeutungsweise zu erkennen. Wenn derzeit in der Neheimer Straße Spaziergänger oder Anwohner von der kleinen Brücke aus  in Richtung Hafen blicken, so gilt ihr Interesse den abgeholzten Bäumen, die eindeutig erkennen lassen, dass hier Biber einen Lebensraum gefunden haben.
Die Fotos in der oberen Reihe zeigen Biberverbiss und -bau, während die untere Reihe einen Eindruck vermittelt, wie der Gaswerkhafen vor 1945 aussah.

Vor 1881 war es umständlich, von Berlin nach Tegel zu gelangen. Die Wagen der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft endeten in Höhe der alten Chausseegeldhebestelle an der Tegeler Chaussee, der Grenze zwischen Wedding und Reinickendorf. Zwar galt es nicht mehr, anschließend durch knöcheltiefen Sand des Weges zu waten. Das hatte sich schon mit der Fertigstellung der Chaussee über ihren bisherigen Endpunkt am Artillerieschießplatz nach Tegel und bis nach Hennigsdorf im Jahre 1849 geändert. Schon 1875 gab es schließlich einen Omnibus, der von der Müllerstr. 114, dem Endpunkt der Pferdeeisenbahn, morgens um 8.15 Uhr, vormittags um 11.15 Uhr, nachmittags um 16.15 Uhr und abends um 20.15 Uhr nach Tegel fuhr. Trotzdem lockten zu dieser Zeit Gondel- und Dampferfahrten auf dem Tegeler See oder ein Besuch der Humboldtschen Begräbnisstätte noch nicht sehr viele Berliner an. Das sollte sich erst ändern, als das Dorf mit dem Netz der Großen Berliner Pferde-Eisenbahn-AG verknüpft wurde.

BüchmannLebrecht Büchmann, Kaufmann und Direktor der Großen Internationalen Pferdebahn, war es, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Er gründete kurzerhand eine Kommanditgesellschaft (Büchmann & Co.) und erwarb die Konzession für den Bau und Betrieb einer eingleisigen Bahnstrecke nach Tegel. Die Bauausführung übernahm die Große Berliner Pferde-Eisenbahn-Aktien-Gesellschaft unter technischer Beratung des Ober-Ingenieurs J. Fischer-Dick, während Bauführer Schmidt die Bauleitung erhielt.

Es ist kaum zu glauben, dass die rund 5 km lange Strecke vom ehem. Chausseehaus an der sog. Weichbildgrenze Berlins bis zum Dorf Tegel in kaum vier Wochen fertig gestellt wurde. Dabei mussten mehrere Holzbrücken durch solide überwölbende Grabenbrücken ersetzt werden.

Pferdeeisenbahn

Ein Wagen der Großen Berliner Pferdeeisenbahn auf der Strecke Charlottenstr. (Unter den Linden) – Tegel.

Bei der landespolizeilichen Abnahme der Pferdeeisenbahnstrecke nach Tegel am 3.6.1881 gab es „nichts zu erinnern“. Am nächsten Tag, es war ein Freitag, war dann die festliche Eröffnung der neuen Strecke. Alles, was Rang und Namen hatte, traf sich um 11 Uhr an der bisherigen Endhaltestelle (Müllerstr.) in dem dort gelegenen Gasthaus. Neben Büchmann, Fischer-Dick und Schmidt – Namen, die wir schon kennen – waren Landrat G.  Scharnweber, Landesbaurat der Provinz Brandenburg G. Bluth, Polizeihauptmann L. von Albert, Direktor M. Hirsch von der Großen Berliner Pferdeeisenbahn, Landesbauinspektor Reinhold und natürlich Tegels Amtsvorsteher Brunow erschienen, ohne dass damit alle Teilnehmer der Festgesellschaft genannt sind.
Man nahm auf der „Imperiale“ zweier Pferdeeisenbahnwagen Platz. Eichenlaubgewinde und Birkenzweige schmückten die beiden Wagen. An der Wagenspitze wehte auch die schleswig-holsteinische Fahne „in zarter Galanterie an das jüngst eroberte, holde Mitglied unserer Königsfamilie, Prinzessin Wilhelm“. Damit war die Prinzessin zu Schleswig-Holstein, Auguste Viktoria, gemeint, die erst kurz zuvor, am 27.2.1881, Wilhelm II., den späteren Kaiser und König von Preußen geheiratet hatte.

Drewitz

Im Lokal von Drewitz (Nachfolger Ewest) wurde 1881 gefeiert.

In bester Stimmung begann die Einweihungsfahrt. Mit lauten Hochrufen begrüßten Arbeiter, die an der Wegstrecke noch letzte Arbeiten erledigten, die Gesellschaft. Tegel war festlich geschmückt. Beiderseits der Dorfstraße waren Masten errichtet, die mit Laubgirlanden umwunden und verbunden waren. An den Mastspitzen flatterten deutsche und preußische Fahnen. Besonders die dunkel gekleidete Jugend begrüßte die eintreffenden Herren mit Enthusiasmus. War es der Gedanke an die nun näher gerückte Erlebniswelt Berlin? Die so laut und herzlich empfangene Gesellschaft begab sich in das nahe gelegene Drewitzsche Lokal. Hier waren bereits Tafeln in Hufeisenform errichtet. Um weitere Tegeler Honoratioren wie z. B. Sanitätsrat C. A. la Pierre (Arzt des frz. Hospitals und Waisenhauses) und alteingesessene Grundbesitzer verstärkt, begann ein von guter Laune gewürztes Frühstück. es wurde viel getoastet und geredet. Die Frühstückssitzung endete mit einem Tafellied (Refrain am „schönen Tegeler See“) nach der Melodie „Am grünen Strand der Spree“, freilich unter kühner Hinwegsetzung der hergebrachten Gesetze der Harmonie gesungen.

Fahrschein

Ein Teilstreckenfahrschein der Großen Berliner Pferdebahn AG aus dem Jahre 1884.

Es folgte eine Promenade am Ufer des Tegeler Sees. Mit einer „Kaffeesitzung“ unter den Bäumen im Vorgarten des Drewitzschen Lokals fand dann die offizielle Eröffnungsfeier ihr Ende. Einige Teilnehmer genossen anschließend die Schönheit des Tages und des Ortes weiter in Tegel, während andere zum Ausgangspunkt der Bahn zurückkehrten, um hier „das fröhliche Ende an den fröhlichen Anfang“ anzuknüpfen.

Das Pfingstfest war die erste Bewährungsprobe für die am Tage mit roter Fahne und nachts mit roter Laterne gekennzeichneten Wagen. Eine Fahrt von der Weidendammer Brücke bis zum Dorf Tegel kostete 50 Pf., seit dem 15.10.1884 nur noch 40 Pf. Die stündlich, an Sonntagen gar alle 20 Minuten verkehrende Bahn musste auf dem eingleisigen Teil der Strecke gelegentlich an den Weichen Pausen einlegen. Hier wie an den Endhaltestellen waren natürlich Gaststätten, die von den Tegelern beim Zwischenhalt gern aufgesucht wurden. Denn die Bahnfahrt verursachte im Sommer Durst und im Winter kalten Füße.

Am 3.6.1891 fand aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Eröffnung der Pferdeeisenbahn nach Tegel eine Feier im Gesellschaftshaus „Zum Leydecker“ statt. Etwa 70 Personen feierten bis 3 Uhr morgens.

Gerhard Völzmann

Jagdschloss Tegel 1701

Während die Tegeler Mühle bereits 1375 im Landbuch Kaiser Karls IV. erwähnt wurde, geht die Geschichte des Schlösschens auf die Zeit um 1558 zurück. Kurfürst Joachim II. hatte das bis zum Tegeler Fließ reichende Gut Heiligensee erworben. Auf einem hierzu gehörigen und bereits vorhandenen Vorwerk entstand das Tegeler Gut mit einem kleinen Gebäude, dem „Schlösschen“. Der Kurfürstliche Sekretär Hans Bredtschneider, der zuvor  das Rosenthaler Gut betrieb, übernahm das neue kleine, wenig nutzbare Anwesen, um u.a. Wein anzubauen.

Wir blicken nun in das Jahr 1731. Das Vorwerk und das Schlösschen Tegel gehörten zum Amt Schönhausen. Grund und Boden des an der Poststraße nach Hamburg gelegenen Anwesens wurden – ohne das beim Neuen Krug, dem heutigen „Wirtshaus im Alten Fritz“ gelegene Gartenland – auf 184 Morgen 95 Quadratruten geschätzt. Auf der Nordseite reichte es von den Sandhügeln der Heiligenseer Heide, auf der Ost- und Südseite bis zum Mühlenfliess und auf der Westseite bis zum „See Malchow“, also bis zur Malche. Bis 1738 hatte es der Forstrat Thielo bewirtschaftet und hierfür als jährliche Pacht 137 Taler 22 Groschen und 11 Pfennige bezahlt. In der Folgezeit von 1738 – 1744 blieb der Pachtbetrag mit 138 Taler 22 Groschen und 3 Pfennigen nahezu unverändert. Im letztgenannten Jahr erbat Thielo eine Pachtverlängerung für erneute 6 Jahre. Doch nun wurde ein neuer Nutzungsanschlag erstellt, den wir uns nachfolgend näher ansehen wollen:

1. Ackerland
Der Acker für den Anbau von Roggen hatte eine Fläche von 115 Morgen 103 Quadratruten. Hiervon musste aber jährlich wechseln stets eine Hälfte brach liegen bleiben. Auf der anderen Hälfte wurden je Morgen 10 Metzen benötigt, so dass 1 Wispel 12 Scheffel 1 ¾ Metzen Saatgut erforderlich waren. Der Ertrag brachte eine 3 ½ fache Vervielfältigung. Mithin konnten 5 Wispel 6 Scheffel 6 1/8 Metzen geerntet werden. Davon wurde die bereits zuvor genannte Menge an Roggen wieder als Saatgut für das Folgejahr zurückgelegt, während 1 Wispel 21 Scheffel 2 1/8 Metzen zur „Wirtschaft“ genommen und 1 Wispel 21 Scheffel sowie 2 ¼ Metzen zur Pacht gerechnet wurden. Bei einem Wert von 16 Groschen je Scheffel ergab dies einen Pachtbetrag von 30 Taler 2 Groschen 3 Pfennig.

2. Wiesen
Zwei Wiesen waren vorhanden. Die größere „bey Tegel“ war von mittelmäßiger Güte und konnte zweimal gemäht werden, während die kleinere „bey Spandau“ mit ihren geschätzten 9 Morgen 39 Quadratruten ständig unter Wasser stand und nur einmal gemäht wurde. Ein Morgen Wiese wurde teils mit 18, teils mit 12 Groschen gerechnet. Zwar war noch beim Neuen Krug ein 3 Morgen 111 Quadratruten großes Luch vorhanden, doch dort musste erst ein 4 Fuß breiter Entwässerungsgraben angelegt, um es als Wiesenland nutzen zu können.
Die beiden erstgenannten Wiesen waren bei der Pacht zu rechnen mit  20 Taler 2 Groschen 4 Pfennig.

3. Viehzucht
10 Kühe zu 30 Taler, 6 Stück „Güstesvieh“ (Vieh, das noch gar nicht oder seit einiger Zeit nicht getragen hatte) zu 4 Taler, Federvieh und Schweine zu 4 Taler ergaben für alles Vieh zusammen eine Pacht von 38 Taler.

4. Gartenland
Es hatte eine Größe von 2 Morgen 92 Quadratruten, wobei jeder Morgen zu 2 Taler veranschlagt wurde. Beim Krug war zudem ein kleiner Garten (29 Quadratruten) angelegt. Es wäre auch noch „ein gewisser Platz“ von 1 Morgen 134 Quadratruten in Gartenland umwandelbar. Für die Pacht waren zu berücksichtigen 5 Taler 6 Pfennig.

5. Weinberg
Dieser hat eine Größe von 7 Morgen 11 Quadratruten und rechnet je Morgen mit 1 Taler 8 Groschen. Für die Pacht des ganzen Weinberges fielen mithin an Pacht an 9 Taler 9 Groschen 11 Pfennig.

6. Fischerei
Die „Fischerey im See Malchow mit der Warte, der Zuhr und dem kleinen Garn“ (Fischerei-Gerätschaften) rechnete bei der Pacht mit  6 Taler.

7. Neuer Krug
Der „am berlinischen Wege“ befindliche Krug verkaufte jährlich 50 Tonnen Ruppiner Bier. Für jede Tonne fielen 8 Groschen „Zapfenzins“ an, zusammen 16 Taler 16 Groschen.

8. Miete für das Schlösschen
Die Miete für das Haus betrug  15 Taler. Die gesamte Pacht für das Gut erreichte damit eine Summe von  140 Taler 7 Groschen.*) Für diesen Betrag behielt Thielo das Vorwerk weiterhin bis zum Jahre 1750. Nun wurde allerdings eine wesentliche Veränderung beschlossen. Die Pacht erhöhte sich auf 258 Taler 14 Groschen 11 Pfennig. Der Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

Höhe des Pachtgeldes – hier wurde auf die Kretschmare Ackerart (d.h. tiefer pflügen, dünner aussähen) 8 Taler 8 Groschen 1 Pfennig gerechnet.168 Taler14 Groschen11 Pfennig
Besondere Verpachtung des Neuen Kruges50 Taler
Beide Valentinswerder (damals noch 2 Inseln) sollten an einen Kolonisten vergeben werden. Dieser sollte geben:24 Taler
Aus einem noch 1750 neu gebauten Familienhaus hoffte man „zu ziehen“:16 Taler
258 Taler14 Groschen11 Pfennig

Einer, der an einer Pacht Interesse hatte, war der einstige Kammerdiener des Prinzen Ferdinand und spätere Hofrat Christian Ludewig Möring. Auf unmittelbaren königlichen Befehl v. 3.6.1750 wurden diesem das Vorwerk, das Schlösschen und die Fischerei „im See Malchow“ zum oben genannten Pachtbetrag von 168 Taler 14 Groschen 11 Pfennig für 6 Jahre überlassen. Doch schon im Folgejahr weigerte sich Möring, die erhöhte Pacht zu zahlen, zumal ihm der Neue Krug und die anderen „Stücke“ nicht mit eingeräumt wurden. Er schrieb am 22.12.1751 direkt an den König und schlug vor, auf seine Kosten eine Maulbeer-Plantage mit 100.000 Bäumen anzulegen. Dafür sollten ihm gegen „einen jährlichen Canon von 147 Taler“ das kleine Vorwerk, ein geringes Deputat an Brennholz und der Neuen Krug „erb- und eigentümlich verschrieben“ werden. Er versprach auch eine Verbesserung der Gebäude auf dem Vorwerk im Wert von über 600 Taler und einen Ausbau des Kruges, wenn ihm das nötige Bauholz gegeben würde.

Der König ging auf dieses Gesuch ein und befahl am 23.1.1752, Möring das Vorwerk in Erbpacht zu geben. Schon am 10.2.1752 wurde der Erbpacht-Vertrag unterschrieben. Der Inhalt des Vertrages und die weitere Entwicklung des Vorwerks und des Schlösschen wären bereits weitere Kapitel aus der Historie des Anwesens.

Gerhard Völzmann

 


*) Zu dieser Zeit hatte 1 Taler 24 Groschen und 1 Groschen 12 Pfennige.

menschWir blicken in eine Zeit, in der das Vereinsleben in voller Blüte stand. So gab es 1907 in Tegel allein nach den Eintragungen im Adressbuch die „Ortsgruppe des Deutschen Flottenvereins“, den Gesang-Verein „Eintracht“, den „Männer-Gesang-Verein Tegel“, den „Grund- und Hausbesitzer-Verein“, den „Ruder-Klub Germania“, die Stenographische Gesellschaft „Roller“, den „Männer-Turn-Verein Tegel“, den „Vaterländischen Frauen- und Jungfrauen-Verein“, den „Verein der Gast- und Schankwirte für Tegel und Umgebung“, den Wanderverein „Froh und Frei“  und nicht zuletzt den bereits 1875 gegründeten „Krieger-Verein Tegel“, in dem später (ab 1917) auch der Chronist von Tegel, August Wietholz, Mitglied war. Die Aufzählung ist unvollständig. So sei nur an den „Lotterie-Verein angehender Millionäre Tegel 1903“ und insbesondere an den zwei Jahre später gegründeten „Tegeler Schützen-Verein“ erinnert.
An dieser Stelle soll über die „Vereinigung der Bürobeamten der Amts- und Gemeindeverwaltung Tegel“ berichtet werden, die am 1.10.1907 ihr drittes Stiftungsfest beging. Hierzu wurde eine Festschrift herausgegeben, der der nachfolgende Beitrag entnommen wurde:

Wie ein jeder im letzten Jahre hervorgetreten ist

festschrift

Das Deckblatt der Festschrift.

Freund Baum teilte sich außerdienstlich das Jahr folgendermaßen ein: Sonntag nach Tegelort, Montag nach Berlin, Dienstag zum Singen, Mittwoch zum Singen, Donnerstag zum Kegeln,, Freitag nach Berlin, Sonnabend nach Berlin, Sonntag nach Tegelort u.s.f. Er ist verlobt und wird sich demnächst verheiraten. Boehr befand sich auf einer Studienreise nach Goslar und Umgebung. Er mußte erfahren, daß es unangenehm ist, ein von Muttern mit Wurst und Schinken vollgepferchtes Packet mit einem fremden Packet unbekannten Inhalts zu vertauschen. Rülicke versuchte zu heiraten; es gelang ihm aber nicht. Krosch suchte vergeblich nach einer Frau, die jung, hübsch, zahm, klug, rein, anhänglich und kräftig sei. Er zählte oft diese Eigenschaften auf, hob dabei seine Hand, bewegte sie elastisch taktmäßig und und schnalzte mit der Zunge. Er ist unglücklich, sein Ideal nicht gefunden zu haben. Thiele hat mit einem Berliner Stockgeschäft ein Abkommen getroffen, in einem Jahr mindestens 100 Stöcke an einem gewissen Körperteile zerplatzen zu lassen. Er soll kein schlechtes Geschäft gemacht haben. Platzende Hose ist von dem Traktierenden zu ersetzen. Heßler kam von Dresden nach Tegel und brachte den Wohllaut der sächsischen Sprache mit. Ziebell stand oft am Ufer des Tegeler Seees und überlegte, ob er sich nicht ein Ruderboot kaufe, um seine Leibesstärke ohne Karlsbad erzwingen zu können. Fohl, ein beleibter Mann mit sepassionistischem Unterbau, verbrieft gern Verse und phantasiert bis in die höchsten Regionen hinein. Er hat früher einmal an der Spitze aller deutschen Truppen gestanden – Train – und trug dort allezeit die Fahne voran. Heut sitzt er noch als trefflichster Reiter auf dem wackligsten Schemel der … (ein Wort ist unleserlich) „hinter geweisten Mauern“. Zieger gab sich in Zeiten wirtschaftlichen Tiefstandes dem Studium von Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“ hin und fand, daß die Empfindungen für leibliche Genüsse mit dem Willen des Individuums bedenkliche Kämpfe zu führen vermögen. Radke wurde, damit er nicht so weit zum Rechnungsrat hat, das Rechnungsbüro übertragen. Er hat sich dort, um Zugänglichkeiten zu entgehen, mit Tischen, Pulten und Regalen verbarrikadiert. Er kam noch nicht zum Heiraten. Es müssen noch Hindernisse vorhanden gewesen sein. Holz war einige Wochen ohne Frau. Ludwig machte, um seine geographischen Kenntnisse zu bereichern und um die Seekrankheit zu studieren, eine Reise durch die Ost- und Nordsee. Der vaterländische Frauenverein gab ihm das Geleit. Roehl ging fleißig zur Jagd auf Mensch und Tier. Menschen jagte er nur in Gestalt kleiner Mädchen, dies er geschickt mit Netz und Lasso zu fangen verstand. Für Ermittelung von Namen und Stand scheute er die Mühe nicht, die Meldeblätter von A – Z durchzustöbern. Manche Beute kostete ihn täglich 3 – 4 Gläser Rotwein. Die Jagd auf Tiere erstreckte sich nur auf das Totschießen von Mücken, die in Hennigsdorf von ihm in der Meinung, es seien Enten, zu Hunderten erlegt wurden.
Bergé orgelt noch immer in der evangelischen Kirche zu Tegel. Lehmann I konnte der Tegeler See nicht mehr imponieren, weshalb er der Ostsee einen Besuch abstattete. Miegel zog nach dem Teutoburger Walde, die Stelle zu besuchen, wo Varus seine Legionen verloren hatte. Herrmann soll vor Schreck das Schwert fallen gelassen haben, als Miegel vor ihm stand. Der Aufenthalt in Bielefeld war für ihn und Radke insofern von besonderer Bedeutung, als sie beide dort in die „Wache“ kamen. Liehr patroullierte jeden Morgen am See entlang und hatte Gefallen daran, daß die Gewächse in seinem Garten täglich um ein Beträchtliches wuchsen. Schließlich war er sich jedoch nicht mehr recht klar darüber, ob er Gemüse oder Unkraut angebaut hatte. Er ging mit dem Gedanken um, eine Ausstellung der seltensten Exemplare von Kohlköpfen zu eröffnen. Schwartzkopf  vergräbt sich tief hinein in den Wulst von Akten und Büchern. Man befürchtet, daß er einmal in den Beständen der Registratur verschwindet, um vielleicht in später Zeit als Mumie wieder ausgegraben zu werden. Er wartet immer noch auf den ersten – – – Apfel, der von seinem Baume fällt. Walter zu Ehren gedenkt das Trainbataillon  No. 3 in jedem Jahre einen sogenannten „Walter-Tag“ zu feiern. Es sollen Reiterfestspiele aufgeführt werden, an welchen sich Chargierte der schneidigsten Qualität beteiligen dürfen. Die Kapelle soll dabei eine Phantasie auf „Meine Freud ist die“ spielen. Rohde hatte kolossales Glück bei den Weibern. Man sah ihn mit Rudeln hübscher Mädchen daher kommen. Er machte Bekanntschaften nur nach dem Abendbrot. Sonntags früh ging er oft mit Cylinder. Illinger vertauschte seinen Aufenthalt im trockenen Stralau mit dem des feuchtfröhlichen Tegel. Er sorgte in kulantester Weise für Theaterbillets, mit Vorliebe für „Unsere Köche“ im Lustspielhause. Lehmann II hat in 16 Jahren eine heiratsfähige Tochter, weshalb er sich nach einem passenden Schwiegersohn umsieht, den er bis dahin zu einem ordentlichen Menschen gemacht haben will. Jädick verliebt sich bis hinter die Ohren, hat die beste Anwartschaft auf einen in Tegel zukünftig etwa freiwerdenden Tanzmeisterposten. Er kennt alle „Tänze“. Für Burkhardt gelangte in letzter Zeit aus Berlin eine Wagenladung Pelzsachen etc. Er wird sich kommenden Winter nicht in anderen Büros sehen lassen können, da das Herauskriechen aus dem warmen Gehäuse und das Wiederhineinschlüpfen mit Schwierigkeiten verbunden ist. Im Sommer konnte man ihn während seines Urlaubes in Gesellschaft alter Frauen in der Heide Beeren pflücken  sehen. Gödel fand das Leben in Berlin und Umgebung riesig „scheene“. Er soll sich vom Ausfluge am Himmelfahrtstage Kopfschmerzen geholt haben. Zwiebell brachte zu Freude der Tegeler Damenwelt 2 Bataillone Infanterie und 1 Schwadron Kürassiere während einer Nacht unter. Das Vormundschaftsgericht und die Armenbehörde werden es ihm mal nicht danken. Voß fuhr während seines Urlaubs nach Baden-Baden um festzustellen, ob die Allee, in der Frau Molitor ermordet wurde, eine Buchen- oder Linden-Allee sei. Gley komponierte einen Marsch, den die Kapelle der Dresdener Garde-Reiter zufolge der verlangten schwierigen Besetzung nicht zu spielen vermochte. Brunow studierte neben der Seelenaktion der Heiligensee´er Burschenschaft die Qualitäten der einzelnen Biere und kam zu dem Resultat, daß man sich an alles gewöhnen kann. Es folge nun eine Unfall-Statistik des letzten Jahres: Es haben sich verheiratet Fahrenkrog, Käden, Teske, Beer und Schink. Bezüglich Schink sei nur zu vermerken, daß man beobachten kann, wie er jeden Morgen auf dem Gange nach dem Büro ein Ei fallen läßt, d. h. ein ausgetrunkenes. Wo die vielen Hüllen des gelbweißen Kräftigungsmittels herkommen, ist nicht näher bekannt.

rathaus

Der Alt- und Neubau des Rathauses sowie die dort Beschäftigten im Jahre 1907

Soweit der Auszug aus der Festschrift mit dem Jahresrückblick auf die einzelnen Mitglieder der Vereinigung. Ob jeder der Genannten die Anmerkung zu seiner Person mit Schmunzeln zur Kenntnis nahm, ist nicht überliefert.

 

Abschließend noch ein Hinweis auf die oben erwähnte Frau Molitor. Sie wurde am Abend des 6.11.1906 in Baden-Baden auf der Promenade meuchlings erschossen. Die 62 Jahre alte Medizinalträtin besaß in dem Badeort eine prachtvolle Villa und war sehr vermögend. Der Tat verdächtigt wurde ihr Schwiegersohn, der Universitätsprofessor und amerikanische Rechtsanwalt Dr. Karl Hau. Das Verbrechen erregte damals größtes Aufsehen. In einem Gerichtsverfahren kamen die Geschworenen des Gerichtshofes zu der Überzeugung, dass Dr. Hau des Mordes schuldig war. Er wurde zum Tode verurteilt, jedoch durch den Großherzog von Baden zu lebenslanger Zuchthausstrafe begnadigt.

 

Gerhard Völzmann

Friedrich Dühn besaß Tegels älteste Mineralwasserfabrik

Im Sommer 1874 tauchte er plötzlich in Tegel auf, jener „unbegreifliche Mann mit der unerschöpflichen Kasse“, wie es eine Berliner Zeitung damals formulierte. Er mietete eine Sommerwohnung, wie es zu dieser Zeit viele Berliner für Tage oder gar Wochen taten. Doch der junge Mann  – er war gerade einmal 24 Jahre alt – fiel schnell auf, weil er die Ferienwohnung herrlich einrichtete. Damit nicht genug. Der „Tegeler Graf Monte Christo“, wie ihn die zuvor erwähnte Zeitung bezeichnete, pachtete zudem in Tegel gleich für 10 Jahre ein Grundstück. Auf diesem wurden Pferde- und Hundeställe errichtet, in denen zwei Ponys als Wagenpferde und drei elegante Reitpferde („vorzügliches Vollblut“) sowie eine ganze Meute von 40 Hunden untergebracht wurden. Allein ein Hund soll einen durchschnittlichen Wert von 600 Mark besessen haben.

Die „eitel Pracht vornehmer Passionen“ benötigte natürlich auch entsprechendes Personal. Kutscher, Reitknecht, Stalljunge, Piqueur (Jagdreiter) und Hundejungen durften nicht fehlen.

Der Lebemann aus Berlin überlegte auch, wie er den Marstall und Rüdenzwinger vor einer denkbaren Feuergefahr schützen könnte. Kurzer Hand gründete „Monte Christo“ in Tegel eine Feuerwehr und stattete diese mit allen nötigen Gerätschaften aus. Aus finanzieller Sicht war das kein Problem. Nur einige lumpige tausend Taler waren erforderlich.

Der unverheiratete Lebemann hielt sich viel in Berlin auf. Wenn er hingegen die Reize seiner Tegeler Sommerwohnung mit anderen zusammen genießen wollte, fand dies im Umgang mit schönen Frauen statt. Allerdings ist auch überliefert, dass die eine oder andere schöne Frau nicht selten bereits in anderer Gesellschaft gesehen wurde.

So versetzte „Monte Christo“ die Tegeler Dorfbewohner vielfach in Erstaunen. In der ganzen Gemeinde war er bekannt.

Blicken wir nun nach Berlin. Unter den Linden befand sich damals das Bankhaus der Herren Meyer und Cohn. Es löste hauptsächlich Coupons der Pfandbriefe der Ostpreußischen General-Landschaft (Immobilienkreditanstalten für den adeligen Grundbesitz) ein und rechnete dies halbjährlich ab. Im Bankhaus war unter anderem mit einem bescheidenen Jahresgehalt von 1500 Mark ein gewisser Emil Selmer als engagierter Buchhalter tätig. Der 24-Jährige, eine elegante Erscheinung, fiel durch unermüdlichen Fleiß, durch gefälliges und einnehmendes Wesen und durch Pünktlichkeit auf. Er hatte das Vertrauen und die Freundschaft aller Personen erworben, die im Bankhaus arbeiteten. Selmers Aufgabe als Assistent des Kassenbuchhalters bestand darin, eingelöste Coupons ordnungsgemäß zu verbuchen. Die Arbeit erledigte er mit Umsicht. So hatte der Kassenbuchhalter nach einiger Zeit keine Bedenken, Selmer die Kassenschlüssel zu überlassen, wenn er sich selbst zum Mittagessen begab. Immerhin konnte damit zu jeder Zeit ein Couponwechsel erfolgen.

Im Oktober 1875 fand in dem Bankhaus eine Generalrevision des Fondbestandes statt. Dabei wurde festgestellt, dass vom Couponbestand der Pfandbriefe eine Summe von 81097,90 Mark fehlte. Alles Mögliche wurde unternommen, um das Manko aufzuklären. Dabei fiel der Verdacht auf Selmer. Es folgte seine Verhaftung.

Seit dieser Zeit tauchte der „Tegeler Monte Christo“ nicht mehr auf. Als Leser dieser Zeilen werden Sie längst geahnt haben, dass es sich bei „Monte Christo“ und Selmer um ein und dieselbe Person handelte.

Bereits sechs Wochen nach seiner Verhaftung musste sich Selmer am 1.12.1875 vor der Fünften Deputation des Berliner Stadtgerichts für seine Taten verantworten. Dem Strafrichter gestand er unumwunden, die große Summe seit rund zwei Jahren in Einzelbeträgen von 200 – 800 Talern zu sich gesteckt zu haben. Energisch bestritt er, für seine Freundinnen 600 Mark wöchentlich ausgegeben zu haben. Er verwies auch auf den guten Zweck, Geld für die Gründung der Tegeler Feuerwehr verwendet zu haben. Zudem wollte er ja das veruntreute Geld im Laufe der Zeit durch „pekuniäre (geldliche) Ergebnisse der Hundezucht“ heimlich wieder zurück zahlen. Schließlich protestierte er, die Ponys nicht zum Vergnügen, sondern zum Herbeischaffen des Futters für die 40 Hunde gehalten zu haben.

Die königliche Staatsanwaltschaft konnte Selmer nicht überzeugen. Sie sah vielmehr wiederholte Diebstähle, verknüpft mit schwerem Vertrauensbruch, und beantragte eine Gefängnisstrafe von 6 Jahren und 6 Jahre Ehrverlust. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Holthoff, bezweifelte, dass hier Diebstahl vorlag. Vielmehr wäre Unterschlagung erfolgt. Andererseits wollte er diese Frage nicht weiter verfolgen, sondern plädierte für fortgesetzten (also keinen wiederholten) Diebstahl. Er beantragte, durch das Geständnis mildernde Umstände zu sehen und verwies auch darauf, dass dem Angeklagten die Ausführung der Vergehen so leicht gemacht wurde.

Das hohe Gericht verurteilte Selmer dann doch wegen wiederholten Diebstahls zu 6 Jahren Gefängnis, jedoch nur zu 5 Jahren Ehrverlust. Als der Angeklagte den Urteilsspruch vernahm, zuckte er heftig zusammen, Tränen stürzten nur so aus seinen Augen.

Selmer wollte die Gerichtsentscheidung so nicht hinnehmen. Über seinen Anwalt reichte er eine Appellation (Berufung) bei der Ersten Kriminal-Abteilung des Kammergerichts ein. Im Gerichtsverfahren am 17.1.1876 plädierte Rechtsanwalt Holthoff „sehr warm“ für die Herabminderung der Strafe auf drei Jahre, Staatsanwalt Feige hingegen für die Bestätigung des ersten Urteils. Er hob den groben Vertrauensbruch, das hohe veruntreute Objekt und insbesondere dessen „schnöde Verwendung“ hervor. Das Gericht folgte seiner Ansicht und wies die Berufung ab.

Leider ist nicht überliefert, wie die Tegeler auf das Urteil reagierten. Vom Königlichen Kreisgericht Berlin wurde bereits am 25.11.1875 über das Vermögen des Handlungscommis Selmer „der gemeine Concurs im abgekürzten Verfahren“ eröffnet. Zum Verwalter der Masse bestellte das Gericht W. Goedel. Dieser war Kaufmann und hatte sich auf die Tätigkeit als Konkursverwalter spezialisiert. Vom Konkurs war auch der Tegeler Restaurateur Friedrich Fischer betroffen. Seine Forderung in Höhe von 783,50 Mark meldete er am 16.1.1876 nachträglich an. In seiner Gaststätte ließ sich demnach der einstige „Tegeler Graf Monte Christo“ Speis´ und Trank gut munden. Die Feuerwehr Selmers wurde separat zum Kauf angeboten, wie die Abbildung zeigt. Erst am 18.9.1890 wurde in Tegel eine freiwillige Feuerwehr (neu) gegründet.

Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Tegel ein bei vielen Berlinern beliebtes Ausflugsziel. Das Lexicon von Berlin und der umliegenden Gegend, 1806 von Johann Christian Gädicke als „Handbuch für Einheimische und Fremde“ herausgegeben, führt aus:

Tegel, Dorf 1 ½ Meilen von Berlin, im Niederbarnimschen Kreise, an der Landstraße nach Hamburg, mit 22 Feuerstellen und 124 Menschen. In dem hiesigen Forstreviere sind sehr viele fremde Holzarten von dem bekannten Forstrathe von Burgsdorf angelegt worden. Dabey ist ein Landhaus, das Schlößchen genannt, mit 7 Feuerstellen und 95 Menschen.
Der Weg von Berlin nach Tegel war zu dieser Zeit aber alles andere als angenehm zu befahren. In seiner „Reise von Berlin nach Kyritz“, 1779 von Anton Friedrich Büsching unternommen, schrieb dieser u. a.: „Wenn man aus demselben (gemeint war das Oranienburger Tor) herauskommt, hebt sich ein beschwerlicher, tiefsandiger Weg an, der die Menschen und das Vieh zu langsamen Schritten veranlaßt. Der Sand um Berlin ist staubartig …

Zwar wurde 1800 oder 1801 vom Oranienburger Tor ausgehend mit dem Bau einer Chaussee begonnen. Die Ausführung der Arbeiten erfolgte aber so schleppend, dass 1802 ein Befehl erteilt werden musste, den Bau vom ¾ Meilenstein an bis zum ganzen Meilensteine zu verlängern. Wohl 1802 oder 1803 war dann die Tegeler Chaussee fertig gestellt. Doch sie hatte ihrer Planung entsprechend nur eine Länge von 1 Meile (rund 7532 m) und endete dort, wo heute die Scharnweberstr. in die Seidelstr. übergeht.

Kremserfahrt

Eine Kremserfahrt nach Tegel? Überliefert ist dies nicht. Die Abbildung vermittelt aber einen Eindruck, wie wohl Kremser um 1830 aussahen. Zeichnung: Adolf Schroedter im Auftrag des Märkischen Museums um 1910.

Wer 1843 mit einer zweispännigen Droschke von Berlin nach Tegel fuhr, musste für die Hinfahrt 2 Taler bezahlen. Dabei war es ohne Bedeutung, wie viel Personen mitfuhren. Für die Hin- und Rückfahrt waren es 2 Taler 10 Silbergroschen, wenn der Kutscher nicht länger als eine halbe Stunde auf die Rückfahrt warten musste. 3 Taler waren fällig, wenn ein längerer Aufenthalt erfolgte, bei einer Vormittagsfahrt aber nicht über 12 Uhr mittags und bei einer Nachmittagsfahrt nicht über 12 Uhr nachts hinaus. Längere Fahrten waren frei zu vereinbaren. Das an den Hebestellen zu entrichtende Chausseegeld trug der Droschkenkutscher.

In Richtung Tegel und Hennigsdorf war nach dem Verlassen der Chaussee über mehrere Jahrzehnte die Beschaffenheit des Weges weiter so, wie sie Büsching beschrieb. Am 24.8.1844 schrieb der Preuß. Staats- und Kabinettsminister Heinrich von Bülow zu Tegel einen Brief an den Finanzminister Flottwell, in dem er sich über den eine ½ Meile langen Sandweg vom Ende der Chaussee zum Schlößchen Tegel beschwerte. Er verwies auf Sommer-Sonnentage, an denen sich wohl 100 Fuhrwerke „durch den Kraft und Zeit raubenden Sand“ schlugen. Immerhin unterrichte Flottwell daraufhin mit Schreiben v. 20.10.1844 des Königs Majestät über die Angelegenheit und erhielt von diesem die Autorisierung zur Aufnahme von 12.000 Talern für einen Chaussee-Neubau.
Im Dezember 1845 wurde endlich mit der Chaussierung der Wegstrecke über den bisherigen Endpunkt hinaus in Richtung Tegel begonnen. Über die zu verlängernde Chaussee schrieb Ludwig Rellstab am 8.5.1846 in der „Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung“ einen kritischen Artikel. Rellstab (*13.4.1799, + 27.11.1860) war Leutnant a. D., Theaterkritiker, Dichter und Schriftsteller. In den Tagen um die Ereignisse des 18.3.1848 gehörte er am 19. und 20.3 zu jenen Personen, die in Audienzen bei König Friedrich Wilhelm IV. (erfolglos) zwischen Militär und Bürgern vermitteln wollten. Als Hauptmitarbeiter der Vossischen Zeitungs-Expedition wohnte Rellstab in der Breitestr. 8 und damit direkt im Hause des Verlages. Er brachte im genannten Zeitungsartikel zum Ausdruck, dass er die Chaussee nach Tegel aus „Privat-Eigensinn“ nicht wünschte. Er schrieb, dass der Bau nur so schleichen würde. Die 6-7 Arbeiter täten sich auf der Baustelle nur ausruhen. Dabei würde sich Berlin ein Eröffnungsfest des neuen Weges ins Grüne am ersten Pfingstfeiertag wünschen.

Ober-Wegebau-Inspektor Horn bemerkte hierzu intern, dass die Steindecke der Fahrbahn schon seit Mai 1846 in ganzer Ausdehnung benutzt werden konnte. Eine öffentliche Stellungnahme zu Rellstabs Kritik wurde aber unterlassen, um die Preise für weitere Steinbeschaffungen nicht in die Höhe zu treiben.

Verwunderlich war, wie Rellstab später seine Meinung über die Chaussee nach Tegel vollständig änderte. In der Ausgabe v. 24.5.1849 der bereits oben genannten Zeitung schrieb er:

Zum Sonntags-, zum Pfingstausflug!
Wir haben den Lesern sonst und in letzter Zeit mancherlei Schönes geschildert, was zu weiteren Reiseausflügen, nach Dresden z. B. anreizt. Doch auch die Nähe bietet uns des neuen Anmuthigen Manches, und wem seine Decke nicht gestattet, sich bis zur Elbe zu strecken, dem erlaubt sie´s vielleicht bis zur Havel. Die Chaussee nach Tegel nämlich ist seit vorigem Sommer fortgesetzt, bis zur Havel, nach Hennigsdorf. Auch eine Errungenschaft des März, eine bittre und eine süße zugleich. Bitter da sie nur gebaut wurde, um Arbeit zu schaffen, die viele Übermüthige nicht einmal thun mochten, andere aber trotz der härtesten Anstrengung dankbar annahmen. An diesem Werke haben Männer gearbeitet, die schwerlich jemals gedacht, mit dem Spaten in der Hand ihren mühsamen Tageslohn zu verdienen; Weber, Uhrmacher, Goldarbeiter, selbst Künstler! Das war der bittre Teil der Errungenschaft. Der süße, d. h. der schöne, kommt uns jetzt zu gute. Die Chaussee zieht sich nicht steif geradlinigt, sondern frei geschwungen durch den Wald. Es hat sich hier Manches geändert. Die alte Schneidemühle ist in eine prachtvolle Dampfmühle umgewandelt, neben der als Wohngebäude ein wahres Schloß im jetzt so beliebten Castellstil emporragt. Von hier ab beginnt der neue Weg, mit sorgfältiger Sauberkeit angelegt. Er ist an beiden Seiten mit Bäumen besetzt, trotz des herrlichen Waldes, durch welchen er sich zieht, und der auf dieser Strecke, nach Schulzendorf hin, das schönste Laubholz, Buchen, Birken, Kastanien im Wechsel mit der Kiefer darbietet. Wir sahen nie den Wald frischer, grüner, als in diesem Frühling, zumal jetzt da auch Alles blüht. Im Tegelschen Garten, dem Tusculum unserer Dioskuren der Wissenschaft, ist es der Flieder, der sich mit den reizendsten Blüthenhüllen schmückt. Draußen prangen die alten hochstämmigen Kastanien in Überfülle der Blüthensträuße. Die neue Chaussee durchschneidet Anhöhen, auf beiden Seiten grün terrassirt. Die Gräben selbst sind grün, und mit einem dichtblühenden Teppich von Erdbeerpflanzen bedeckt. Im Busch läßt sich die Nachtigall, im freien Raum die Lerche hören. Aus dem tiefen Wald ertönt der eigenthümliche Ruf des Wiedehopf. Die Höhen vor Schulzendorf bedecken sich mit dem saftigsten Grün des blühenden Preißel- und Blaubeerenkrauts. Eine lange Reihe von Ebereschen steht auch in der vollsten Blüthe und sendet uns ihren Bittelmandelduft zu. Die Felder des dort sich öffnenden freien Waldplatzes wogen in frischem Saatengrün. Ihnen gegenüber die herrlichen Kastanien, stolze Prachteichen, weicher, schwellender Rasenteppich des Waldes, über Hügel gebreitet; der schönste Spielplatz der sich tummelnden Jugend. – Und so war denn auch die sonst so einsame Waldstrecke am letzten Sonntag mit Spaziergängern und eleganten Equipagen bedeckt, fast wie ein Weg des Thiergartens. Wer dazu beiträgt, daß es in den Pfingsttagen dort noch lebhafter aussieht, den wird es nicht gereuen. Und wer wollte sich nicht gern einmal in ganz freiem frischen Wald und Feld auslaufen?

Den von Rellstab geradezu überschwänglich formulierten Vorschlag zu einem Ausflug nach Tegel griffen an den beiden Pfingstfeiertagen des Jahres 1849 offenbar viele Berliner auf. In Equipagen, Kremsern und anderen der Zeit entsprechenden Fuhrwerken ging es von Berlin aus durch das 1788 von Gontard errichtete (und 1867 abgerissene) Oranienburger Tor über die Chaussee- und Müllerstr. weiter in Richtung Tegel. Allerdings sperrte am Ende der Müllerstr. zunächst eine „Barriere“ die Weiterfahrt. Hier befand sich seit 1830 (bis 1874) das Chausseehaus Rehberge. Bis 31.10.1848 war J. A. Schaub Pächter dieser Stelle. Der nachfolgende Pächter der Hebestelle, Lehmann, konnte über den starken Ausflugsverkehr am 27. und 28.5.1849 (Pfingsten) zufrieden sein. Immerhin konnte er nach dem Tarif v. 29.2.1840 von jedem „Fuhrwerk zum Fortschaffen von Personen“ einen Silbergroschen je Zugtier und Meile erheben. Da die Hebebefugnis für die Chaussee nach Tegel aber bei 1 ½ Meilen lag, wurden für diese Strecke 1 Silbergroschen 6 Pfennig fällig. Die dafür auszuhändigende Quittung musste der Kutscher aufbewahren und am nächsten Chausseehaus wieder abgeben. Das Chausseehaus Rehberge gehörte zu jenen Stellen in der Provinz Brandenburg, die in den Jahren 1844-46 im Durchschnitt mehr als 3000 Taler Nettoertrag pro Meile aufwiesen. In Rehberge wurden 3836 Taler durchschnittlich eingenommen. Viel höhere Einnahmen hatte allerdings die Hebestelle Charlottenburg mit 12047 Talern.
Chaussee-Einnehmer Lehmanns Frau Caroline Friederike Charlotte, geb. Schumacher, zeigte sich Weihnachten 1850 gegenüber der Kirche zu Nassenheide sehr großzügig. „Aus Dankbarkeit gegen Gott für erwiesene Wohltaten“ schenkte sie einen sehr schön gearbeiteten, geschmackvollen Tauftisch aus Mahagoni nebst einem Taufbecken aus Porzellan und einer Samtdecke mit schweren Goldtressen.

Auf der Tegeler Chaussee lag später eine weitere Hebestelle (Zeitraum 15.2.1854-30.6.1857) im „Empfangslokal zwischen Rutensteinen 1,82 und 1,83“ (heutiges Restaurant „Alter Fritz“ oder unmittelbare Nähe) und v. 1.7.1857-31.12.1874 im „Haus bei dem Rutenstein 1,66 (heute Berliner Str. 1, ehem. Schmiede von Schulze). Doch das betraf ja noch nicht jene Berliner, die 1849 ihren Pfingstausflug unternahmen.

AmtsblattIn Tegel lud der Schlosspark zu Spaziergängen ein. Der nahe See, nach dem verheerenden Brand von 1835 durch die Seegasse gut erreichbar, bot angenehme Wasserpartien.
Ein Ziel der Ausflügler am 2. Feiertag war mit Sicherheit der von M. Bacher im Ort  (Anschrift Tegel 3) betriebene „Goldene Stern“, vis-à-vis der Dorfkirche gelegen. Der Wirt bot seinen Gästen nämlich ein „gut besetztes“ Trompetenkonzert, danach war ein Tanzvergnügen arrangiert. In den Adressbüchern der Jahre 1847 und 1848 wurde Bacher als Tabagist  genannt. Unter einer Tabagie war ein Lokal zu verstehen, in dem geraucht werden durfte und das auch Tabakwaren anbot. Vor Bacher gehörte das Haus dem Krüger F. Schulze, zu späterer Zeit dem Gastwirt C. F. Marzahn.

Im Dörfchen gab es auch zumindest ab 1847/48 ein Cafe, das von E. Löst (nach anderer Schreibweise E. Soest) betrieben wurde. Wo genau sich das Cafe befand, ist nicht überliefert. Cafetier Löst war ein patriotisch gesinnter Mann, der noch im März 1848 zwei Taler als „Liebesopfer“ für die Verwundeten und für die Hinterbliebenen der am 18.3. gefallenen Bürger spendete. Am 9.5.1849 verstarb der Cafetier an „Lungenlähmung“. Den Tod des geliebten Mannes, Schwiegersohnes, Schwagers und Onkels zeigten die tief betrübten Hinterbliebenen an. Witwe Auguste Löst, eine geborene Witte, verband dies gleichzeitig mit der Anzeige, dass sie das Geschäft ihres verstorbenen Mannes in derselben Art und Weise fortsetzen wolle. Sie erhoffte weiter das bisher ihrem Mann geschenkte Wohlwollen. Mit Sicherheit kehrten im Cafe auch die Berliner Ausflügler zu Pfingsten 1849 ein. Nach 1850 verlieren sich die Spuren des von der Witwe Löst in Tegel betriebenen Cafes. Vielmehr gab es 1855/56 im Dorf den Cafetier Carl Wilhelm Leopold Grützmacher. Dieser wurde am 7.7.1855 im Departement des Kammergerichts für den 7. ländlichen Bezirk des Kreises Niederbarnim für Schiedsmann Carl Emil Friebezeiser, Gutsbesitzer zu Schulzendorf, zum zweiten Stellvertreter bestallt. Später, zumindest ab 1859, war in „Tegel 30“ über lange Jahre der Cafetier J. Drewitz tätig war.

Es gab zudem viele Berliner, die die Tegeler Chaussee nicht am Abzweig zum Dorf (heute Alt-Tegel) verließen. Sie passierten unmittelbar die Mühle, die gerade im Jahr zuvor von Wasser- auf Dampfmaschinenkraft umgestellt wurde, und kurz danach den Meilenstein auf der linken Straßenseite. Der Sandsteinobelisk aus der Zeit um 1730 hatte ursprünglich als Ganzmeilenstein auf dem Hamburger Postweg einen anderen (Ganzmeilen-)Standort. Wann er nach Tegel, 1 ½ Meilen von Berlin entfernt, umgesetzt wurde, ist nicht bekannt. Er trug übrigens – wie alle weiteren Meilensteine auf dem Weg nach Hamburg – keine Inschrift. Dies als Hinweis, weil 1841 in einem Reisebericht trotzdem folgende Inschrift genannt wurde: „ Bis Berlin ein und eine halbe Meile“. Nicht auszuschließen ist, dass der Text (inoffiziell) aufgetragen war.

In den „Neuen Krug“, heute als Restaurant „Alter Fritz“ bekannt, kehrten wohl eher jene Gäste ein, die in einer vornehmen Kalesche vorfuhren. Die Gastwirtschaft wurde lange Zeit (mindestens seit 1832/33) von C. G. Buschmann, der auch ehrenamtlicher Ortsvorsteher war, geführt. Sie wurde am 20.5.1778 schon von Goethe bei einem Treffen mit der Familie von Humboldt aufgesucht. Buschmann warb am 13.5.1849 mit folgender Anzeige:

Auch in diesem Jahre verfehle ich nicht, mich einem Hochgeehrten Publikum bestens zu empfehlen. Die herrliche Lage meines Etablissements, unstreitig der schönste Punkt in der näheren Umgebung von Berlin, wird, wie ich nicht zweifle, dessen geschätzte Bewohner veranlassen, mich recht zahlreich mit ihrem Besuche zu beehren, und werde ich fortfahren meinerseits Alles aufzubieten, um durch gute und prompte Bedienung mir Jedermanns Zufriedenheit zu erwerben, und mir den guten Ruf zu erhalten, dessen ich mich seit einer so langen Reihe von Jahren zu erfreuen habe.
C. Buschmann zu Schlösschen Tegel.

Tegeler Mühle

Ausflügler vor dem Wohnhaus der Tegeler Mühle, das wegen seines Bewuchses auch Efeuhaus genannt wurde. Im Bildhintergrund rechts ist der Meilenstein zu sehen.

Im Neuen Krug wohnten 1822 12 „Seelen“. Hier war man stets zur Aufnahme von Gästen vorbereitet, doch Bestellungen auf größere „Dejeuners, Diners und Soupers“ (das klang besser als Frühstück, Mittag- und Abendessen) meldete man am besten schon am Vortag an. In der Gaststätte fanden auch durch Oberförster F. Lelm (wohnhaft im Forsthaus Tegel 10) Holzversteigerungen statt. Die Hölzer wurden bereits ihrer Länge und ihrem Umfang entsprechend ganz gezielt z. B. als Mühlenwellen, Böttcher-Nutzholz oder als „ordinäres“ starkes Bauholz angeboten. Vom Kaufpreis musste die Hälfte als sog. Angeld an Ort und Stelle bar hinterlegt werden. Doch solche Versteigerungen erfolgten natürlich nicht an den Feiertagen.

Ein Teil der Berliner Ausflügler fuhr oder wanderte durch den Wald weiter nach Schulzendorf, das bereits 1835 im Berliner Adressbuch als vor dem Oranienburger Tor gelegene Sehenswürdigkeit genannt wurde. Schulzendorf hatte im Dez. 1858 67 Einwohner und „12 Ehen“. 5 Wohngebäude, 7 gewerbliche und wirtschaftliche Häuser sowie 4 Gehöfte wurden gezählt. Das Vieh wurde mit 10 Pferden und 26 Rindern ermittelt. Zu Pfingsten 1849 konnte im Gutskrug wie auch bei Neye (dem späteren Restaurant Sommerlust) Kaffee getrunken wurden. Ein Berliner, der sich in Schulzendorf am zweiten Feiertag aufhielt, behielt den Ausflug aber in unangenehmer Erinnerung. Er verlor nämlich sein goldenes, rot und weiß emailliertes Armband. Sein Appell an den ehrlichen Finder, das Stück gegen eine Belohnung in Höhe des Goldwertes zurückzugeben, blieb sicher ohne Erfolg. Auch die Warnung vor einem Ankauf des Armbands dürfte nicht geholfen haben.

Gleich mehrere Besucher von Tegel sprachen gar am 1.6.1849 in einem Leserbrief an die „Königlich privilegirte Berlinische Zeitung“ eine Warnung für Besuche in Tegel aus. Sie schrieben:

Gefahren für die Besucher in Tegel
Herr Rellstab hat in No. 119 dieses Blattes in seiner bekannten ansprechenden Manier die Naturreize von Tegel geschildert, wodurch wir zu einem Pfingstausfluge nach dem gelobten Lande verlockt wurden. Wir müssen eingestehen, daß wir durch die Natur vollkommen befriedigt wurden, aber auch, daß wir wenig erbaut waren durch die Kunst-Straße, welche dahin führt, die Herr R. – wie es scheint etwas ironisch – eine nicht steif geradlinige, sondern eine geschwungene nennt. Allerdings, wenn es der Weg eines Irrgartens sein soll, so erscheint uns die Bauart ganz passend, sonst aber müssen wir gestehen, daß wir keinen besondern Geschmack an dieser Liebhaberei finden.
Dicht vor Tegel läuft diese Chaussee aus dem Walde in der Form eines Z fort, und sind die scharfen Biegungen bei der geringen Breite des Dammes für schweres Fuhrwerk namentlich im Winter gefährlich. Entweder muß man befürchten, von dem Damme geschleudert zu werden, oder das hübsche Eisengitter, welches das zur Mühle gehörige Wohnhaus umschließt, zu zertrümmern. Ist aber auch diese Stelle glücklich umschifft, so droht die nicht minder gefährliche Charybdis, die alte halbverfallene Holzbrücke bei der Mühle, zu welcher die, den Weg beengende ruinenartige Schneidemühle ein würdiges Seitenstück ist. Die Brücke ist kaum 11 Fuß breit (1 preuß. Fuß = 12 Zoll =  0,31385 m), der daran stoßende Weg, durch die Schneidemühle beengt, nicht viel breiter, und trat hier bei der großen Frequenz an den Pfingsttagen eine fortwährende Stopfung der Fuhrwerke ein, da an dieser Stelle an ein Ausbiegen der Wagen nicht zu denken ist und immer einer auf den anderen warten mußte. Wie wir erfahren, soll sich vor einiger Zeit hier auch ein Unglück ereignet haben, das beinahe einer jungen Dame das Leben gekostet hat. In Folge dieses Vorfalles hat der Mühlenbesitzer aus Menschenfreundlichkeit eine Warnungstafel mit dem Worte: „Schritt!“ an die Holzwand der Schneidemühle angeheftet. Aber, obgleich unser Wagenlenker die Aufforderung gewissenhaft befolgte, wurden wir dennoch das Opfer einer anderen ungeahnten Gefahr. Der Wagen stürzte nämlich von dem Planum der Chaussee auf die, fast einen Fuß tiefer liegende Brücke, und erlitt eine solche Erschütterung, daß eine Feder zerbrach. Wir empfanden einen leisen Schauer, als wir, größerer Gefahr entronnen, uns auf der anderen Seite der Chaussee befanden.
Da das Publikum Chausseegeld für diese Strecke zahlen muß, so dürfen wir wohl die Zuversicht aussprechen, daß diesen Übelständen baldigst abgeholfen werde; aber zu beklagen ist, daß solche offenkundige Mängel erst noch der öffentlichen Aufforderung zur Abhülfe bedürfen.

Mehrere Besucher von Tegel.

Soweit dieser Leserbrief aus dem Jahre 1849. Ob und wann daraufhin zügig Änderungen erfolgten, ist nicht bekannt. Erst 1911 wurde die bis dahin direkt an der Mühle vorbeiführende Straße begradigt. Damit verbunden war der Bau einer neuen Brücke über das Fließ; weiter in Richtung „Alter Fritz“ erfolgte am „Tegeler Berg“ nahe dem einstigen Abzweig nach Hermsdorf eine (erneute) Tieferlegung des Straßenniveaus.

Beenden wir damit unseren Rückblick. Er mag zeigen, wie sehr sich doch in mehr als 150 Jahren Straßenverhältnisse, Orts- und Landschaftsbilder sowie Lebensgewohnheiten verändert haben.

Gerhard Völzmann

Ein Blick in das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts lässt die vielen Neuerungen und Veränderungen erkennen, die sich in Tegel zutrugen. Zu erwähnen sind u. a.

  • die Gründung einer freiwilligen Feuerwehr (1890),
  • die Eröffnung der Eisenbahn nach Kremmen mit einem Bahnhof in Tegel (1893),
  • die Erlangung der Selbstständigkeit der bisher zu Dalldorf gehörenden Kirchengemeinde (1894),
  • die Gründung der Freien Scholle in Berlin (1895),
  • der Bau und die Inbetriebnahme eines Gaswerkes (1896),
  • die Errichtung eines Kaiser-Wilhelm-Denkmals (1897),
  • der Bau einer Strafanstalt durch die Stadt Berlin, die Verlegung der Firma Borsig von Moabit nach Tegel, die Erweiterung des Rathauses, der Bau eines Wasserwerkes und die erstmalige Aufnahme der Einwohner der Gemeinde Tegel in das Berliner Adressbuch (1898) sowie
  • die Umstellung der Pferdestraßenbahn auf elektrischen Betrieb (1899).

Ende 1897 gab es in Tegel 25 Gaststätten. Eine von ihnen befand sich im Eckhaus Schlieperstraße 27 / Schöneberger Str. 63 (heutiger Medebacher Weg). Sie wurde von Heinrich Hanuschke betrieben. Einige Stationen seines Lebensweges soll der folgende kleine heimatkundliche Beitrag aufzeigen.

Restaurant Hanuschke

Abbildung aus dem Jahre 1905

Hanuschke erblickte am 9.9.1855 in Schlesien das Licht der Welt. Im Jahre 1871 meldete er sich als Freiwilliger bei den „braunen Husaren“, die in Ohlau / Schlesien stationiert und 1870 / 71 gegen Frankreich eingesetzt waren. Wann Hanuschke nach Tegel zog, ist nicht bekannt. Nach einer Tätigkeit als Kutscher auf dem Tegeler Gut machte er sich selbständig. Er beauftragte 1892 den Bauunternehmer H. Valtink aus der Schlieperstraße 31, das o. a. Eckhaus zu errichten. In dem Gebäude, das zu dieser Zeit das erste dreistöckige Wohnhaus in Tegel war, eröffnete er im Erdgeschoss eine Gastwirtschaft. Fortan war er „nicht mehr zu bewegen, unseren Ort auf längere Zeit zu verlassen“, wie einst eine Zeitung formulierte.

Als das Haus entstand, gab es in Tegel noch keine öffentliche Versorgung mit Gas für Leucht- und Kochzwecke. Vielmehr war es üblich, die Räume mit Petroleumleuchten auszustatten. 1896 änderte sich dies. Die Gemeinde Tegel hatte nämlich im März dem Unternehmer Karl Franke aus Bremen die Konzession zur Erbauung und zum Betrieb eines Gaswerkes erteilt. Bereits im November des Jahres war die Anlage betriebsbereit.

Kurz vor diesem Zeitpunkt hatte Restaurateur Hanuschke bei der Firma Borchardt zu Berlin eine eigene Gasanlage zum Preis von 400 Mark gekauft. Um die Kaufsumme aus heutiger Sicht einschätzen zu können, seien an dieser Stelle Durchschnitts-Lebensmittelpreise vom November 1897 genannt. Es kosteten jeweils 1 kg

– Essbutter 2,25 M.
– Schweinefleisch 1,38 M.
– Kalbfleisch 1,30 M.
– Weizenmehl 0,32 M.
– 1 Schock (60 Stück) Eier 4,27 M.

Mit der neu gekauften Anlage sollte Hanuschkes Lokal mit Acetylengas beleuchtet werden. Üblicherweise bestand eine kleine Anlage zur Erzeugung derartigen Gases aus einem sog. Doppelentwickler (Spülapparat), einem Reiniger, einem Gasbehälter, einem Druckregler sowie Wand- und Deckenlampen. Die Art der Beleuchtung schien ja durchaus eine Zukunft zu haben. Es gab schon ganze Ortschaften, die sich für Acetylengas entschieden hatten. So hatte auch im Dezember 1897 der Minister der öffentlichen Arbeiten die Königliche Eisenbahndirektion angewiesen, die Beleuchtung der Eisenbahnwagen mittels Acetylengas allgemein zur Einführung zu bringen.

Doch kaum hatte Hanuschke seine Gasanlage in Betrieb genommen, erhielt er eine Verfügung des Tegeler Amtsvorstehers, die ihm die Nutzung untersagte. Begründet wurde dies damit, dass von einer solchen Anlage erhebliche Nachteile für Nachbarn und Publikum ausgehen können. Nach der Reichsgewerbeordnung war eine besondere Konzessionierung erforderlich.

Der Gastwirt schaltete die Anlage ab, gab sie dem Lieferanten zurück und stellte diesem anheim, selbst die Konzession zu beantragen. Gleichzeitig verklagte er die Firma Borchardt vor der 8. Zivilkammer des Berliner Landgerichts I auf Rückgabe des Kaufpreises von 400 Mark.

Rechtsanwalt Dr. Werthauer vertrat Gastwirt Hanuschke. Er machte geltend, dass der Beklagte seinem Mandanten gesagt hatte, die Anlage koste nur 1 Pfg. pro Stunde und Flamme. Tatsächlich lagen die Kosten bei 5 Pfg. Die Firma Borchardt habe auch ausdrücklich gesagt, dass keine Genehmigung erforderlich sei. Rechtsanwalt Dr. Gennerich vertrat die Beklagte und bestritt beide Aussagen.

Das Speisezimmer der Gaststätte, 1907 mit Gasbeleuchtung.

Das Gericht trat in eine umfangreiche Beweisaufnahme ein. Nach Aussagen des Oberingenieurs Gerdes kostete bei einem Preis von 1 Mark für 1 Pfund Carbid eine Flamme etwa 10,5 Pfg. pro Stunde, bei größerem Verbrauch ca. 6 Pfg. Ingenieur Schülke kam gleichfalls zu der Feststellung, dass eine Flamme je nach Carbidpreis 4 – 6 bzw. 6 – 8,5 Pfg. kostete. Selbst bei kleinem Brenner seien es noch 1,5 – 2 Pfg. pro Stunde. Nun konnte sich zudem die Beklagte nicht mehr genau erinnern, ob beim Verkauf von einer Anmeldung oder einer Konzession der Anlage die Rede war. Im Ergebnis wurde die Firma Borchardt im Oktober 1897 verurteilt, die Kosten von 400 Mark zu erstatten und außerdem die erheblichen Prozesskosten zu übernehmen.

Es kann nur vermutet werden, dass Heinrich Hanuschke sich in der Folgezeit das Gas vom Tegeler Gaswerk liefern ließ. Übrigens hatte sich in dieser Zeit die Firma Martin Gülzow in Berlin SW darauf spezialisiert, Petroleum-Hängelampen zu Gaslampen umzuwandeln, ohne dabei die Lampen zu verändern. Gleichzeitig bemühte sich der Verband der Gast- und Schankwirte für Berlin und Umgebung darum, eine Preisermäßigung für das in Restaurationsräumen verbrauchte Gas zu erreichen. In Berlin kostete 1 Kubikmeter Gas für gewerbliche Zwecke 10 Pfg., während Gastwirte den Einheitspreis von 16 Pfg. zahlten. Die Bemühungen blieben ohne Erfolg.

Heinrich Hanuschke betrieb die Gastwirtschaft bis 1905, um sie dann an den Gastwirt F. Giersch zu übergeben. In der Folgezeit lebte er als Rentier bzw. Privatier, wie man damals sagte.

In einem Rückblick auf das Leben von Hanuschke dürfen seine Söhne Bruno und Willi nicht fehlen. Vater Heinrich hatte schon 1908 die Bedeutung des Flugwesens erkannt. Er stellte seinem Sohn Bruno (geb. 1892) Mittel zum Bau erster Flugzeuge zur Verfügung, die dieser zusammen mit Bruder Willi entsprechend einsetzte. Ersten Gleitflügen mit einem Sportflugzeug im heutigen Steinbergpark folgten Tätigkeiten auf dem 1909 eröffneten Flugplatz in Johannisthal. 1910 erhielt er eine Flugführererlaubnis. Er gründete den Hanuschke-Flugzeugbau sowie eine Fliegerschule. Bruno Hanuschke verstarb bereits 1922.

Mit seinem Denken und Handeln trug Heinrich Hanuschke, zunächst verspottet und verlacht, mit dazu bei, dass es einmal zu einem geregelten Luftverkehr kam. Er wurde auch Mitbegründer des Deutschen Luftflottenvereins, dessen Provinzialverband Brandenburg seine Geschäftsstelle in Pankow, Spandauer Str. 5 hatte. Hanuschke war zudem Mitglied des Männerchors von 1899, des Kirchenchors und 38 Jahre Mitglied des 1875 gegründeten Kriegervereins Tegel. Er hatte jederzeit ein warmes Herz für die Armen, schrieb eine Zeitung, als Heinrich Hanuschke im 73. Lebensjahr am 6.5.1928 verstarb. Die Beisetzung erfolgte am 10.5. um 15 Uhr auf dem Tegeler Friedhof. Pfarrer Beschoren hielt die Trauerandacht, zu der neben den Mitgliedern der kirchlichen Körperschaften auch die der bereits genannten Vereine gekommen waren. Gerhard Völzmann

 

„Dem im Belauf Tegel des Forstreviers Tegel, am Tegelschen See neu errichteten Förster-Etablissement ist die Benennung Försterei Tegel beigelegt worden, was wir mit dem Bemerken zur öffentlichen Kenntniß bringen, daß dadurch in den Communal- und polizeilichen Verhältnissen des Etablissements nichts geändert wird“.            

Nachzulesen ist diese am 30.3.1848 von der Königlichen Regierung zu Potsdam vorgenommene Veröffentlichung im Amtsblatt v. 7.4.1848. Der erste Bewohner des kleinen Fachwerkbaus mit Ziegeldach hieß Scholz. Er hatte hier zunächst eine „stationaire Hülfsaufseherstelle“ inne, die dann im Juni 1850 in eine Försterstelle umgewandelt wurde. Scholz war mithin der erste Förster, der „zu Tegelsee im Forstreviere Tegel“ tätig war. Vermutlich war er mit seinem Leben und seinem Beruf sehr zufrieden. Sonst hätte er sicher nicht 1851 der Kirche zu Heiligensee zur Anschaffung von drei Rohrstühlen drei Taler überwiesen, wie es im Amtsblatt vom 5. Dezember veröffentlicht wurde. Scholz wohnte 1858 mit acht weiteren Personen im Forsthaus Tegelsee. Bis wann er beruflich aktiv war, ist nicht bekannt. Erst im Teltower Kreisblatt v. 27.10.1895 wurde über ihn anlässlich seines Todes folgendes berichtet:

Eine auch in Berliner Kreisen weitbekannte Persönlichkeit, der alte Förster Scholz aus Tegelsee bei Tegel ist am Mittwoch Nachmittag zur letzten Ruhe bestattet. Den Berliner Ausflüglern wird der joviale alte Herr noch gut in Erinnerung sein; er erfreute sich, seines liebenswürdigen Wesens halber allgemeiner Werthschätzung  und wußte seinen Gästen den Aufenthalt in dem hübschen Forsthause so angenehm wie möglich zu machen. Die Herren schätzten ihn als gewandten Kartenspieler. Seit Jahren war er pensioniert und lebte in seiner hübschen Villa in Dalldorf. Trotz seiner hohen Jahre – er hat deren vierundachtzig erreicht – war er ungemein rüstig und hielt noch jedem Wetter stand. Den Kirchenbesuch versäumte er nie, wie er denn überhaupt außerordentlich gottesfürchtig war. Er hinterläßt zwei Söhne, von denen der eine gleichfalls Förster, der andere Baumeister ist. Die Beerdigung des Verstorbenen fand unter großer Betheiligung in Heiligensee statt.

Dem Forsthaus Tegelsee wollen wir nun einen Besuch abstatten, der uns in die schöne Sommerzeit des Jahres 1868 versetzen soll. Das Forsthaus wurde schon bald nach der Errichtung durch Berliner „Kultur-Pioniere“ entdeckt. Schnell gewann es trotz seiner abgeschiedenen Lage einen guten Ruf. Wegen seiner „trefflichen Eigenschaften“ blieben ihm die Berliner treu, wenn sie es einmal kennen gelernt hatten.

Der ortsunkundige Berliner begab sich zunächst vom Schlossgarten und der „Dicken Marie“ aus in Höhe der Malche „ins Ungewisse“ auf die Suche nach dem Forsthaus, um dann einem bequemen Fußweg zu folgen, der über Wiesen zum Wald führte. Aber auch eine sandige Fahrstraße war bereits vorhanden. Der Wald bestand aus einem Gemisch von Lärchen, Kiefern, Fichten, Linden, Ulmen und Ahorn. Zwischen den Stämmen entdeckte der Wanderer dichtes Unterholz, zu dem u. a. Haselsträucher gehörten. An der Fahrstraße war dann, halb verdeckt durch die Kronen von Obstbäumen, das Dach des Forsthauses zu sehen. Eine grüne dichte Hecke umfriedete das Gehöft, zu dem auch kleine Ställe und Scheunen gehörten. Wohl ein Dutzend Hunde vieler Rassen und Altersstufen waren nicht zu überhören.

Ein Hirschgeweih schmückte den Giebel des Forsthauses. Vor der Tür befand sich eine Vorlaube, von dichten Weinranken überschattet wie auch die Wände des Gebäudes. Auf einer Bank grüßten Förster Schulz (So der Zeitungsbericht. Oder war es vielmehr der oben erwähnte Förster Scholz?) und seine freundliche Frau die eintretenden Gäste. Im kleinen Garten standen wenige, bereits altersgraue Holztische sowie Bänke. Eine Linde wirkte fast wie ein breiter, wehender Schirm auf dem Terrain.

Das Forsthaus besaß keine Schankkonzession. Wenn Gäste eintrafen, die gar ein „Achtelfässchen“ (Bier) im Garten auflegten oder der kühlen Erde anvertrauten, verursachten dies keine scheelen Blicke eines Wirtes oder Kellners. Ja, selbst der mitgebrachte „Fresskorb“ von der Größe eines Marktkorbes konnte offen ausgepackt und sein Inhalt an hungrige Mäuler verteilt werden. Zu jeder Zeit konnten Familien Kaffee kochen. Zum „wirtschaftlichen Arsenal“ der „Frau Försterin“ gehörte nämlich ein ehrwürdiges riesiges Monument einer Bunzlauer Töpferei, welches etwa 80 Tassen in seinem ungeheuren Schoss aufnehmen konnte. Der Inhalt langte, um alle Berliner Ausflügler gleichzeitig bedienen zu können.
Von Jahr zu Jahr verfolgten die Berliner die Entwicklung der Anlage, zu denen ja auch, wie weiter oben erwähnt, viele Hunde gehörten. Zudem waren Katzen, Hühner und Gänse zu sehen. Zudem war eine tierische Ansiedlung ganz anderer Art im nächsten Umkreis des Forsthauses zu sehen, die hier nicht unerwähnt bleiben darf. In den Gipfeln der nahen Föhren nistete eine nach Hunderten zählende Kolonie von Reihern, eine „streng geschlossene stattliche Gesellschaft“, welche das ganze Stück des Uferwaldes bevölkerte. Es düngte natürlich von der Höhe aus den Waldboden unaufgefordert, zerstreute Federn und durchtönte mit Gekrächz und Geklapper die Luft.
Vom Forsthaus ist zudem überliefert, dass sich seit seiner „Entdeckung“ hier auch berühmte Gäste in heiterem Spiel und geistreicher Konversation aufhielten, ohne dass freilich Namen genannt wurden. Einzelne Personen verbrachten im Forsthaus wochenlang die Zeit mit Studium oder einsamer Arbeit. Eine „geschätzte heimische juristische Autorität“ soll im Kämmerchen des Giebels während eines Sommers an einem fachwissenschaftlichen Werk gearbeitet haben. Auch hier ist aber kein Name bekannt. Durch diese Persönlichkeit entstand eine Bezeichnung für das Forsthaus, die freilich nur der Stamm der eingeweihten Getreuen kannte und nannte: „Das Forsthaus zur vergleichenden Übersicht“.

1887 wurde durch Maurermeister Trampel aus Glienicke auf dem „Förster-Etablissement Tegelsee“ ein neues Stallgebäude errichtet, in dem Kühe, Schweine und Jungvieh Aufnahme fanden. Auch eine Tenne, eine Futterkammer sowie eine kleine Kammer für Knechte waren eingeplant.

Försterei TegelseeAb 01. April 1888 wurde Grußdorf, nach dem die ehem. Bahnhofstr. in Tegel benannt wurde, als Förster zum Forstrevier Tegelsee versetzt.

Ärger gab es, als 1890 Zimmermeister August Müller aus Tegel den Bau eines Wohnhauses auf dem Areal ausführte. Fuß-Gendarm Friedrich von der dritten Gendarmerie-Brigade hatte nämlich am 19.6. d. J. festgestellt, dass der Rohbau ohne baupolizeiliche Genehmigung ausgeführt wurde. Amtsvorsteher Brunow  „erlegte“ eine Geldstrafe von 5 Mark, ersatzweise 1 Tag Haft und forderte die Vorlage einer Bauzeichnung binnen 3 Tagen. August Müller kam dem natürlich umgehend nach. Die nachträgliche Genehmigung wurde nicht versagt. Doch es wurde auch festgestellt, dass der Neubau weiter als 1 m von dem nicht genügend breiten Weg Tegel – Scharfenberg bleiben müsste. Die forstfiskalische Verwaltung musste damit rechnen, evtl. den Weg auf der östlichen Seite zu verbreitern.

1890 befanden sich nun auf dem Hof der Försterei ein altes Wohnhaus von 1848, ein gerade neu erbautes, ein Schweinestall mit Pappdach, eine Fachwerk-Scheune, ein Stall mit massivem Ziegeldach, ein Pferdestall und ein Brunnen. Zum angrenzenden Garten gehörte ein kleines Backhaus. Es ist nicht überliefert, warum zu dem ja noch gar nicht so alten Wohnhaus ein zweites errichtet wurde, und wann der Abriss des Hauses aus dem Jahre 1848 erfolgte. Ungeachtet der baulichen Veränderungen konnten Ausflügler in das Forsthaus Tegelsee, aber auch Tegelgrund und andere einkehren und das mitgebrachte Kaffeemehl aufbrühen. Doch mit der Zeit befürchteten Gastwirte Einbußen und beschwerten sich. Dies führte zu einer Einstellung eines Brauches, der vielleicht einmal mit einem Glas Wasser als „Erste Hilfe“ begann. So unterrichte der Touristenklub für die Mark Brandenburg in seinen Monatsblättern die Mitglieder am 1.4.1905 wie folgt:
„Den Förstern in der Tegeler und Hermsdorfer Forst ist vom Minister das Verabreichen von Speisen und Getränken an Ausflügler gegen Entgelt untersagt worden. Besonders betroffen davon sind die Forsthäuser Tegelort und Tegelgrund“. Mit Tegelort war das Forsthaus Tegelsee gemeint.

Zum 1.9.1907 wurde in der Försterei Tegelsee eine Telegrafenhilfsstelle in Verbindung mit einer öffentlichen Fernsprechstelle eingerichtet.  In späterer Zeit waren in dem Haus als Förster tätig:

  • min. 1922 – 1928
  • 1929 – 1934
  • 1935 – 1937
  • 1937
  • 1938 – min. 1943
  • Paul Willner
  • keine Angabe
  • Karl Oertner
  • Joachim Gaede (Hilfsförster)
  • Artur Henke
  • min. 1922 – 1928
  • 1929 – 1934
  • 1935 – 1937
  • 1937
  • 1938 – min. 1943

Die Angaben wurden – soweit möglich – den Berliner Stadt-Adressbüchern entnommen. Die Revierförsterei Tegelsee des Forstamtes Tegel befindet sich unverändert am Schwarzen Weg. Am 27.4.2013 wurde am Försterweg unweit des Forsthauses ein Stein eingeweiht, der an die Namen der Förster von Tegelsee erinnert.

Der Verfasser dieses Beitrages dankt dem Revierförster, Herrn Mosch, für freundlich erteilte Auskünfte und Einsicht in alte Unterlagen. Abbildungsnachweis: Sammlungen des Verfassers und der Revierförsterei Tegelsee.

Gerhard Völzmann